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Analysierend vom Schrottplatz geritten

Beinahe ein Drama klassischer Dimensionen, nur dreckiger und überraschender: Paul Tickells Debütfilm „Crush Proof“

Wir sind in Irland, aber nichtsdestotrotz beginnt „Crush Proof“ wie der übliche britische, sozialkritische, kleine, dreckige Film, den wir in den letzten Jahrzehnten zu schätzen gelernt haben: Straßenszenen, graue Wände, eine nervöse Handkamera, die nur mehr Details einfängt. Aus den kleinen, hektischen Momenten schält sich schließlich ein Knast. Es ist der Tag, an dem Neal Garrity entlassen wird. Er verabschiedet sich von einem seiner Mitgefangenen, indem er ihn krankenhausreif prügelt.

Es ist diese impulsiv aus ihm herausbrechende Gewalt, die Neal ins Gefängnis gebracht hat und die später auch sein Schicksal besiegeln wird. Aber auf dem Weg dahin wird noch allerlei Ungewöhnliches passieren: Zuerst schwingen sich Neal und seine Kumpels vom Schrottplatz schon mal auf Pferde, um unsere Erwartungen ad absurdum zu führen, und reiten durch die Straßen Dublins und über die grünen Weiten Irlands, als befänden wir uns mitten im amerikanischen Westen. Dann beginnen sie plötzlich und unvermittelt nicht mehr nur alle erdenklichen Formen von „fuck“ zu benutzen und im jugendlichen Straßenslang zu sprechen, sondern in poetischen Bildern, gestelzten Sätzen und geschliffenen Dialogen. Dabei offenbaren sie historisches Spezialwissen und analytische Schärfe. Wäre der gute alte Shakespeare vor 20 Jahren in einem irischen Arbeiterviertel zur Welt gekommen, würde er womöglich heute so schreiben.

Der Film lebt vom Kontrast zwischen den Landschaften, den Brechungen der Sprache, von der Enttäuschung der Erwartungen, die man ans Genre hat, und von den Einfällen des Filmemachers Paul Tickell. Sein Debut „Crush Proof“ drehte er vor zwei Jahren. Aus einem Film, dessen visuelle Umsetzung, Protagonisten und Plot aus dem Kitchen-Sink-Realismus stammen, macht er ein Drama mit nahezu klassischen Dimensionen. Da gibt es: einen geistig umnachteten Vater, der Neal nicht mehr erkennt; eine Mutter, die ihn verleugnet; eine kleine Schwester, die ihn verehrt; den ehemals besten Freund, der ihn verriet; die Stiefschwester, mit der ihn eine Hassliebe verbindet, und die Freunde, deren Loyalität geprüft wird. Und irgendwann ruft tatsächlich sein Gewissen übers Handy an.

Ironischerweise erinnert Neal weniger an seinen Namenspatron Pat Garrity, sondern eher an den von jenem gejagten Billy the Kid. Wie dieser wird Neal nur mehr von seinen einfachsten Bedürfnissen getrieben, sucht nach Liebe und Seelenfrieden, findet aber in sich selbst nur Verwirrung und außerhalb eine sich verändernde Welt. Beidem begegnet er mit grundloser Gewalt. Der Tod kommt dann fast wie eine Erlösung, oder zumindest wie ein guter Freund.

Verhandelt werden die grundsätzlichen Fragen des Lebens, und aus einer Fallstudie eines jugendlichen Kleinkriminellen wird ein Drama um Liebe, Hass und Loyalität – ein Drama, das größer sein will als seine Figuren. Die Umsetzung scheitert bisweilen an den eingeschränkten Mitteln, die Tickell zur Verfügung standen. Schlussendlich ist „Crush Proof“ dann eben doch der übliche kleine, dreckige, sozialkritische Film.

THOMAS WINKLER

„Crush Proof“. Regie: Paul Tickell. Mit: Darren Healy, Jeff O’Toole. Irland 1997, 93 Min. Läuft vom 10. – 16. 8. im Eiszeit, Zeughofstraße 20, Kreuzberg

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