Analyse zu Hartz-IV-Nachfolge: Bürgergeld deckt Stromkosten nicht
Laut einem Vergleichsportal reicht das Bürgergeld nicht, um die gestiegenen Energiekosten zu bezahlen. Sozialverbände machen Druck.
Im Posten für Wohnen und Energie – ohne Miete – sind im Bürgergeld-Regelsatz für Alleinstehende auf ein Jahr hochgerechnet knapp 511 Euro vorgesehen. Die durchschnittlichen Stromkosten für einen Ein-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 1.500 Kilowattstunden beliefen sich trotz Strompreisbremse aber auf 641 Euro, teilte das Münchner Unternehmen am Donnerstag mit. „Damit liegen die Stromkosten 25 Prozent über der Pauschale.“
Grundlage der Berechnung sind die Preise der Energieversorger, die über das Portal von Check24 Strom verkaufen. „Der für die Stromkosten veranschlagte Betrag ist viel zu niedrig“, kommentierte VdK-Präsidentin Verena Bentele. „Daran hat sich auch mit der Anpassung der Regelsätze nichts Grundsätzliches geändert.
Das Problem hat sich mit dem starken Anstieg der Strompreise eher noch vergrößert.“ Der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen ist mit der Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld um 53 Euro auf 502 Euro im Monat gestiegen, das entspricht einer Erhöhung um knapp zwölf Prozent. Darüber hinaus übernimmt der Staat „angemessene“ Kosten für Miete und Heizung, die Stromrechnung muss aber aus dem Regelsatz bezahlt werden.
Empfohlener externer Inhalt
„Die Leistungen, die eigentlich ein menschenwürdiges Existenzminimum absichern sollen, reichen vorne und hinten nicht, um über den Monat zu kommen“, kritisierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Die explodierenden Strompreise verschärften die Not für die Menschen, die Grundsicherung beziehen. „Für Single-Haushalte waren die Kosten zuletzt fast doppelt so hoch wie das, was amtlich zugestanden wurde“, sagte Schneider.
Zuständig für die Auszahlung des Bürgergelds sind die Jobcenter. „Die steigenden Heiz- und Stromkosten sind sehr herausfordernd“, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Heizkosten würden von den Jobcentern regelmäßig in der angemessenen Höhe übernommen. „Anders ist es bei den Stromkosten: Haushaltsstrom ist Teil des Regelbedarfes, wird vom Gesetzgeber festgelegt und jährlich angepasst. Die Jobcenter haben keinen Spielraum, den Regelbedarf anzupassen.“
Die Bundesagentur begrüße deshalb sehr, dass der Regelsatz zum 1. Januar so deutlich gestiegen sei. „Dennoch können steigende Stromkosten zu finanziellen Belastungen führen. Sollten Menschen in finanzielle Nöte kommen, können die Jobcenter zumindest ein Darlehen bewilligen.“
Dass staatliche Leistungen für Bedürftige in Deutschland bisher nicht immer für das Existenzminimum ausreichen, hatte bereits am Mittwoch auch eine Studie im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gezeigt. Auch von den Milliardenhilfen der Regierung wegen der Energiekrise kamen laut der Erhebung nicht genug Mittel bei Hartz-IV-Beziehenden an.
„Die verfassungsrechtliche Vorgabe, dass das soziokulturelle Existenzminimum auch im Falle von plötzlichen Preissteigerungen immer gedeckt sein muss, wurde mit den Einmalzahlungen nicht erreicht“, heißt es in der DGB-Studie mit dem Titel „Ermittlung eines angemessenen Inflationsausgleichs 2021 und 2022 für Grundsicherungsbeziehende“ der Expertin Irene Becker.
Demnach mussten etwa Alleinlebende im vergangenen Jahr 470 Euro Kaufkraftverlust hinnehmen. Die Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar hat das Problem laut der Studie für das laufende Jahr aber entschärft. So sei die Erhöhung der Regelsätze kräftiger als der prognostizierte Preisanstieg für das Jahr 2023.
Zum Jahresbeginn waren die Sätze für Bedürftige um rund 50 Euro gestiegen. Für alleinstehende und alleinerziehende Leistungsberechtigte gibt es seitdem 502 Euro pro Monat. In der im November 2022 erstellten Studie heißt es: „Dies ist für die Betroffenen eine erhebliche Erleichterung gegenüber der Situation im laufenden Jahr.“
Defizite gebe es aber beim Mechanismus, mit dem das Bürgergeld künftig weiter angepasst werden soll. Denn es würden jeweils durchschnittliche Änderungsraten aus der Vergangenheit miteinander verknüpft: Nicht eingezogen bei der Errechnung der Sätze werde der tatsächlich für das jeweilige betreffende Jahr maßgebliche Inflationsverlauf. Vorgeschlagen wird von der Studienautorin deshalb unter anderem, dass künftig Änderungen des Regelsatzes häufiger möglich sein sollen als nur einmal im Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter