Analyse der Klimapolitik der Ampel: Besser und trotzdem zu wenig
Experten haben die Klimapolitik der Regierung untersucht. Ihr Fazit: mangelhaft, mit einigen Lichtblicken. Kritik üben sie vor allem an LNG-Terminals.
Der „Climate Action Tracker“ gilt als Goldstandard der internationalen Klimaszene, um die Anstrengungen der UN-Staaten beim Klimaschutz zu durchleuchten. Die Initiative bringt WissenschaftlerInnen der Thinktanks „New Climate Institute“ und „Carbon Analytics“ zusammen, die regelmäßig die Klimaversprechen der 40 wichtigsten Länder mit 85 Prozent der globalen Emissionen auf ihre Bedeutung abklopfen.
Sie untersuchen, welche Auswirkungen verschiedene Maßnahmen haben, welcher Temperaturanstieg dadurch erreicht wird und wie groß die Lücken zwischen Versprechen und Realität sind. Finanziert wird die Arbeit von der Europäischen Klimastiftung ECF und dem Bundesumweltministerium.
Die detaillierten CAT-Länderstudien sind im Netz abrufbar und gelten in Ermangelung offizieller Vergleichsdaten als quasi-offizielles Ranking der Staaten. Die Regeln sind streng. Kein Land schafft es laut CAT bislang, den 1.5-Grad-Pfad zu erreichen. Nur ein Industrieland, Großbritannien, bekommt das Etikett „ausreichend“, neben Äthiopien, Gambia., Costa Rica, Marokko, Kenia, Nepal und Nigeria. Unter „unzureichend“ fallen etwa die EU, die USA, Schweiz oder Japan.
„Kritisch unzureichend“: Russland und Iran
„Höchst unzureichend“ ist demnach die Klimapolitik in der größten Gruppe mit 15 Ländern wie China, Indien, Indonesien, Brasilien, Ägypten, Saudi-Arabien oder Australien. Und ganz schlimm, nämlich „kritisch unzureichend“ sieht es laut CAT aus in Russland, Iran, Türkei, Singapur, Vietnam und Thailand.
Jetzt also Deutschland: „Fast ausreichend“, wenn die Politik mit dem 2-Grad-Ziel verglichen wird, aber „unzureichend“, wenn eingerechnet wird, was Deutschland nach globalen Fairness-Maßstäben noch alles tun müsste – besonders etwa seine internationale Klimafinanzierung von derzeit etwa 4 Milliarden Euro jährlich zu verdreifachen. Davon ist in Berlin nicht die Rede – die Regierung ist schon stolz darauf, dass sie diese Ausgaben bis 2025 auf 6 Milliarden erhöhen will.
Immerhin: „Die neue deutsche Regierung legt bei der Umsetzung der heimischen Klimapolitik deutlich an Tempo zu“, lobt der Bericht. Wenn alle bisherigen Pläne umgesetzt würden, könnte die versprochene CO2-Reduktion von 65 Prozent bis 2030 in Reichweite sein. Für 1,5-Grad bräuchte es aber 69 Prozent – und deutlich mehr Geld für die Klimahilfen an arme Länder.
Im Klimaschutzministerium von Robert Habeck (Grüne) nimmt man die Analyse als Bestätigung der eigenen Politik: „Sie unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf und die Notwendigkeit eines wirksamen Klimaschutz-Sofortprogramms, um den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent abzusenken, wie es das Bundesklimaschutzgesetz vorsieht“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage.
Es gibt auch Positives im Bericht
Der Bericht hebe hervor, dass „Deutschland dieses Ziel dann – möglicherweise mit geringeren Abweichungen – erreichen könnte, wenn alle Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden.“ Derzeit werde ein „umfangreiches Klimaschutz-Sofortprogramm mit den anderen Ministerien abgestimmt, das alle Sektoren in die Lage versetzen soll, die jeweiligen Sektorziele zu erreichen.“
Das Positive erkennt auch der CAT-Bericht: Die ehrgeizigen Pläne bei den Erneuerbaren und ein Kohleausstieg vor 2030, wie im Koalitionsvertrag versprochen, könnten die Emissionen beim Stromsektor stärker als gedacht drücken – aber andere Sektoren wie Gebäude und Verkehr verderben das Bild, so die Forscher.
Der verstärkte Ausbau von Wind- und Solarenergie und bessere Planung könnten für den Ausbau der Erneuerbaren „den Unterschied machen“ und „als ein gutes Beispiel für andere Länder dienen“. Insgesamt, so das Urteil: wenn alle Länder der Welt ähnlich wie Deutschland agierten, könnte die globale Erwärmung auf 2 Grad begrenzt werden – eine „signifikante Verbesserung gegenüber dem vorherigen deutschen Ziel“ – aber eben nicht genug für 1,5 Grad.
Auch für die Reaktionen der deutschen Energiepolitik auf den Krieg in der Ukraine gibt es Lob und Tadel. Positiv werten die Prüfer den schnelleren Ausstieg aus den fossilen Energien aus Russland – kritisch sehen sie den Aufbau von neuen Terminals für LNG-Flüssiggas.
Senegal-Hilfe in der Kritik
Vor allem das Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch im Senegal Ende Mai für die Hilfe bei der Ausbeutung von neuen Gasfeldern stößt auf Kritik: Neue fossile Infrastruktur im Ausland wollten die Industriestaaten eigentlich nicht mehr finanzieren – das wurde auf der Klimakonferenz in Glasgow Ende 2021 beschlossen und gerade erst beim G7-Umweltministertreffen in Berlin bestätigt.
Was Scholz’ Ankündigung bedeutet, ist unklar: Hält er die Kriterien ein, weil es sich im Senegal nicht um ein neues Gasfeld handelt? Gegen die Richtlinien der bundeseigenen KfW-Bank jedenfalls verstößt der Vorschlag offenbar nicht. Die KfW erklärt auf Anfrage, sie habe 2021 eine „Paris-kompatible“ Regelung eingeführt: Für jeden Euro in neue Gasinfrastruktur werde man zwei Euro in erneuerbare Strukturen investieren. Derzeit werde überprüft, „inwiefern diese Regel mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel nachgeschärft wird“.
Auch im Wirtschaftsministerium will man dem Kanzler nicht offen widersprechen. Dort heißt es: „Die Beschlüsse der COP26, wonach die internationale öffentliche Finanzierung fossiler Energieträger bis 2022 zu beenden ist – außer in limitierten Einzelfällen –, gelten für uns weiterhin“. Details zur Umsetzung würden „derzeit in der Regierung erarbeitet.“
Für Bill Hare, Chef des CAT-Partners „Climate Analytics“, ist die Sache klar: „Gas ist keine Brückentechnologie, es ist ein fossiler Energieträger, und Vorschläge für massive neue Gasinfrastruktur auf der ganzen Welt, einschließlich im Senegal und in Westaustralien, werden die globalen Bemühungen zur Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad untergraben“. Er hoffe, „dass der deutsche Bundeskanzler seinen Vorschlag zur Unterstützung einer massiven LNG-Erschließung im Senegal zurückzieht.“
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