: An die eigene Nase fassen
betr.: „Befehl erhalten, Befehl verstanden“ (Stasi-Spezialeinheit sollte Flucht verhindern), taz vom 13. 8. 07
Man kann ja schwerlich Äpfel mit Birnen vergleichen, oder etwa doch? Kurz gesagt, die einen durften damals nicht raus, und heute dürfen sie nicht rein.
So ist doch zu bedenken, dass 2006 laut Auskunft der spanischen Regierung zum Beispiel allein vor Teneriffa 6.000 Flüchtlinge aus Afrika ertrunken sind, die Europa erreichen wollten. Erst vor drei Wochen sind dort wieder mindestens 60 Menschen ertrunken. An unserer „gestürmten Festung“ (Buchtitel von Corinna Milborn) krepieren offensichtlich jährlich Zehntausende, weil Innenminister Schäuble und Co. die Aufnahme weiterer Flüchtlinge verweigern und wir nicht in der Lage sind oder kein Interesse daran haben, dort für die Menschen vernünftige politische und wirtschaftliche Lösungen zu finden. Deutschland nahm 2006 nur ganze 2.000 Flüchtlinge auf.
Es existieren das Menschenrecht verletzende Geheimabkommen zum Beispiel zwischen Italien und Libyen, um den Flüchtlingen den Weg zu versperren. Unsere Grenzschutztruppe „Frontex“, wegen der jährlich noch mehr Menschen sterben, weil sie auf offener See zurückgeschickt werden oder große, gefährlichere Umwege machen müssen, lässt aktuell ihre Arbeit vorläufig nicht aus humanitären Gründen, sondern aus rein finanziellen Gründen ruhen. Wer in Seenot geratene Menschen mit schwarzer Hautfarbe und womöglich ohne Pass auf sein Schiff aufnimmt, muss mit einer Anklage wegen „Schlepperei“ rechnen, die Gerichtsverhandlung dazu zur Cap-Anamur-Aktion 2004 in Italien steht noch aus. Wenn man sich jetzt also über den angeblich neuen Aktenfund aufregt und auf eine ausschließlich böse DDR verweist, sollte man sich, ganz besonders in der BRD und im sich konstituierenden Europa, erst mal an die eigene Nase fassen. Den so genannten Schießbefehl brauchen wir nicht, denn die Wellen im Mittelmeer tun das ihrige.
KARSTEN NEUMANN, Nürnberg