: An der Gefühlsfront
Trautes Heim, laß es so sein: Von den Post-Adoleszenzneurosen in Jodie Fosters „Familienfest und andere Schwierigkeiten“ (Wettbewerb) ■ Von Anke Westphal
Claudia Larson hat einen telegenen Beruf — sie ist Restaurateurin —, einen flotten Mantel und eine intelligente Tochter. Weil soviel Wohlergehen als Identifikationsangebot nicht funktioniert, wird sie plötzlich entlassen, ihre sechzehnjährige Tochter teilt ihr mit, daß sie gedenkt, sich demnächst entjunfern zu lassen, und zu allem Überfluß steht auch noch ein Heimatbesuch an Thanksgiving ins Haus.
Wem die Stunde schlägt!, dachte Jodie Foster wohl, als sie sich daran machte, ihre nach „Das Wunderkind Tate“ zweite Regiearbeit zu planen. „Familienfest und andere Schwierigkeiten“ heißt Fosters — welch treffende Bezeichnung — „Gesellschaftskomödie“. Das Neurosen-Theater um Feiertage wie Thanksgiving oder Weihnachten ist einem selbst bestens vertraut. Da wollen schließlich nicht nur Truthähne und anderes Kleinvieh aufgefressen werden — ach, wenn es weiter nichts wäre —, nein, man wird sich vermutlich auch mit der Tatsache konfrontiert sehen, daß man den lieben Eltern immer ähnlicher wird.
Auch Claudia Larson übermannt die Fassungslosigkeit, als sie in Boston eintrifft und Mama und Papa Larson (Anne Bancroft und Charles Durning) in wechselnden Zuständen milder Verrückt- beziehungsweise (richtig: beziehungsweise!) Gluckenhaftigkeit erlebt, die Claudias mühsam erkämpfte Organisiertheit glatt wegspülen.
So weit, so bekannt, aber ist das Ganze ein Grund, sich immer wieder an diesem Thema abzuarbeiten? Für Jodie Foster schon — sie beackert das Thema auf weiße Ostküsten-Middle-Class-Art. „Familienfest und andere Schwierigkeiten“ spielt nicht zufällig in Boston, dem Setting nobler Persönlichkeitsformungsinstitute wie Wellesley und Smith, aber auch dem Ort Sylvia Plaths. In Bostons Nähe ist interessanterweise auch eine Krimiserie angesiedelt, „Mord ist ihr Hobby“, die wegen — oder trotz — ihrer zwar humoristisch ins Bild gesetzten, aber auch völlig ungebrochenen humanistischen Middle-Class-Wertepädagogik in den USA seit fünfzehn Jahren ein Endlosrenner zur Primetime ist. Tatsächlich würde sich Foster mit „Hobby“-Star- und Produzentin Angela Lansbury wohl gut verstehen, schon aus Gründen der (meinetwegen weiblichen) Kontrolle über das Geschäft.
Dieselbe wird Jodie Foster, die Frau an der Spitze von „Egg Pictures“, nicht müde einzufordern. Nun ist Abgrenzung das Rettungsboot all derer, die sie zwecks Selbst-Konsolidierung nötig haben, und wenn Foster sich vom Thema Post-Adoleszenz nicht abgrenzt, indem sie es einfach stattfinden läßt, besagt das im besten Falle, daß Foster tatsächlich sehr erwachsen sein muß. Nicht ohne meine Lieben, läßt sie ihre Claudia Larson denken, als Thanksgiving näher rückt, und „working mum“ Claudia die Tochterrolle auch äußerlich verifiziert: Sie verliert ihren Mantel auf dem Flughafen und muß den ihrer Mutter anziehen.
Mit den Gründen für Claudias Heimatbesuch an der familiären Gefühlsfront wird das dem Zuschauer eigentlich Vertraute ausgespielt: eine Synthese aus völlig intaktem Schuld- und leicht lädiertem Pflichtbewußtsein. Ersteres kitzelt Claudias selbstgerechte Schwester an die Oberfläche, dieselbe Person, die letzteres perfekt verkörpert — auch das ist sehr middle class. Joanne (Cynthia Stevenson aus „The Player“) ist jene dutyful daughter, die sich in jeder Familie findet und deren Beschwerden, mangelnde Dankbarkeit betreffend, der Familie gehörig auf den Wecker fällt.
„Home for the Holidays“ ist vor allem ein Schachbrett-Film verschiedener Lebensentwürfe, versetzt mit etlichen Slapstick-Elementen, die dem Ganzen nicht übel bekommen. Wobei die Tatsache, daß Foster die klassische Kernfamilie ins Zentrum eines ihrer Filme rückt, an sich schon erstaunlich ist, bewegte sich die Arbeits-Persona der vaterlos aufgewachsenen Foster bis dato doch in den Reservaten der Vater- oder/ und Gattenlosigkeit.
Doch Foster macht sich keinen Kopf um Definitionen und vertraut auf das Improvisationstalent ihrer Darsteller. Joannes Verbitterung und die unerträglich manische Fröhlichkeit des schwulen Bruders (Robert Downey jr.) beißen sich wie Hund und Katze, dazu kommt eine furzende Tante (Geraldine Chaplin alt wie nie) sowie ein Truthahn, der beim Tranchieren in Joannes Dekolleté hüpft, und die Sache mit der Gemütlichkeit hat sich erledigt.
Es geht einfach viel zu laut und nervenzerrend zu in diesem bis unter die Decke gemusterten Vorort- Haus, in dem ein Scherz zuviel die Komödie in ein Drama verwandelt. Natürlich weist dieser Film seitens der Regie entschieden Liebhabercharakter auf. Trautes Heim, laß es sein: Papa sitzt fett hinter der Heimorgel, hysterische Nichten und Neffen quälen Tante Claudia, und la mamma vergißt — wie kann man sich nur so gehen lassen — ihre Perücke. Dabei geht es Foster wohl weniger um die Frage, warum Claudia sich das Ganze antut, sondern eher um das Rätsel einer gewissen Zärtlichkeit, die sich mit gutem Willen, Schuld- und Pflichtbewußtsein allein nicht erklären läßt. Claudia fürchtet sich vor Ma und Pa, aber daß sie ihnen irgendwie spiegelverkehrt ähnlich ist, bedingt ja auch ihre Liebe. Die kunstverständige Tochter lernt ihren Eltern zu verzeihen, was sie eigentlich bedroht: Unordnung, Geschmacklosigkeit, Freßsucht, Verwirrtheit, und damit verzeiht Claudia sich selbst. Sie darf versagen.
Holly Hunter ist wie prädestiniert für diese zarte, sich immer wieder rappelnde Claudia, deren kleine Geschichte etwas mehr ist als eine weitere Etüde über family values. Fosters Fingerübung über die Gefahren der Rückkehr zu den Wurzeln und das, was man dabei — außer einer existentiellen Verunsicherung — erfahren kann, ist keine versöhnliche Angelegenheit. Zum Schluß, eine melancholische Szene, sieht Claudia mit ihrem Vater im Keller alte Filme an. Glück — das muß wohl jene Sache von vor dreißig Jahren gewesen sein, die man damals leider nicht richtig bemerkt hat — weswegen man seinem Unglück jetzt besser mißtraut.
„Familienfest und andere Schwierigkeiten“, USA 1995, 104 Min., Regie: Jodie Foster. Mit Holly Hunter, Anne Bancroft, Robert Downey jr., Dylan McDermott, Charles Durning u.a.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen