: Ambivalente Welt
Zygmunt Baumans Themen, die sein Verständnis einer Soziologie der Moderne umfassen, sind ohne seinen Lebensweg unbegreiflich: Fremdheit und Ambivalenz, Moderne und Postmoderne, Aus- und Einschluss.
Der gebürtige Pole wusste immer, wovon er wissenschaftlich spricht, denn er hat es selbst erfahren: die Angst, als Fremder in einem neuen (oder als Jude im eigenen) Land nicht anerkannt zu werden; die Furcht, zu den Ausgeschlossenen zu gehören; die Ambivalenz der Moderne, die aus sich selbst heraus Fesseln nicht duldet, aber stets um den Preis, „Abfall“ zu produzieren – Menschen, die nicht (mehr) benötigt werden und denen alle Freiheit und Demokratie nichts nützen, weil sie ums schiere Überleben zu kämpfen haben.
Anfang der Neunzigerjahre avancierte Bauman zum Starsoziologen der Zeit nach dem Realsozialismus – vor allem in Ländern Skandinaviens und in Deutschland. Ein Mann, der einen theoretischen Korpus entwickelte, mit dessen Hilfe die Starrheit des Sozialismus kritisiert werden kann, ohne dass darüber seine Perspektive – die klassenlose Gesellschaft – verraten würde. Der Mittelweg, Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, widmete ihm 1992 ein ganzes Sonderheft; in diesem Periodikum finden sich auch die meisten seiner Essays auf Deutsch.
Jörg Lau charakterisierte Bauman in der taz vom 25. März 1995 als „großen Tragiker der zeitgenössischen Soziologie“ – bergen dessen Arbeiten doch stets die melancholische Tonlage gegenüber einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen zu geraten droht und kaum oder allenfalls prekäre Zukunftschancen für jene bereit hält, welche von Geburt nur geringe Chancen zum Aufstieg haben.
In der britischen Soziologie machte Bauman spät Karriere, nachdem die im angelsächsischen Raum empirisch orientierte Disziplin in der Ära Thatcher kriselte und Interpreten wie Anthony Giddens oder Zygmunt Bauman nötig hatte. Beide schufen der akademischen Linken eine theoretische Perspektive, mit der erklärbar wurde, aus welchen Quellen sich der Erfolg der liberalkonservativen Politikern Margret Thatcher speist: etwa aus dem Umstand, dass in entwickelten (kapitalistischen) Ländern Gesellschaftlichkeit nicht mehr allein und zuvörderst in ökonomischen Klassen gedacht werden kann.
In jenen Jahren verfeinerte Bauman, auch geschult an seinem deutschen Kollegen Niklas Luhmann, sein Instrumentarium, die Welt als sich selbst modernisierendes System zu begreifen, das Freiheit hervorbringt – aber eben auch „Abfall“, „Müll“: ein nach Baumans Verständnis zwangsläufiger, nur dialektisch zu begreifender Prozess, der global in den Blick zu nehmen sei, nicht mehr nur nationalstaatlich.
Baumans Veröffentlichungen sind auf Deutsch sowohl in der Hamburger Edition wie beim Suhrkamp Verlag erschienen. In älteren Ausgaben vom Mittelweg finden sich summarische Aufsätze von ihm, in denen er seine Werke zusammenfasst.
Jüngste Publikationen: „Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne“ (Hamburger Edition, Hamburg 2005, 196 Seiten, 20 Euro) sowie „Flüchtige Moderne“ (Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, 272 Seiten, 12 Euro). Der Klassiker aber bleibt: „Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit“ (Hamburger Edition, Hamburg 2005, in einer Neuauflage, 451 Seiten, 18 Euro). JAF