Standbild: Am laufenden Band
„Rudolf Wijbrand Kesselaar genannt Carrell“, Sa., 22.40 Uhr, ARD
Verdiente Legionäre der römischen Armee bekamen nach vierzig Jahren Latifundien zugesprochen, verdiente Legionäre des deutschen Fernsehens werden mit Porträts geehrt. Der 65. Geburtstag des Rudolf Wijbrand Kesselaar war dem WDR eine einstündige Studie über Wesen und Wirken der Fernsehkreatur Carrell wert, der man selbst in Zeiten, da das Medium sich zunehmend selbst bespiegelt, allzu gern ins Antlitz schaut: Silberwelle, nasse Unterlippe, Überbiss, dazwischen rollt das R hervor, Carrell.
Carell offiziell, bei „Am laufenden Band“, „Herzblatt“, „7 Tage – 7 Köpfe“. Carrell informell, bei Biolek, Fuchsberger, Gottschalk – wo er wiederum über seine offizielle Arbeit plauderte. Am laufenden Band zappte sich diese kreisende Collage durch „das Phänomen“ Carrell, bis es sich als Markenzeichen zu erkennen gab: Vom linkischen Jacques-Brel-Wiedergänger der schwarz-weißen Tage bis zum Elder Statesman bundesdeutscher Fernsehunterhaltung. Dazwischen: Carrell entdeckt Kai Pflaume, Carrell ärgert den Ajatollah, Carrell lässt sich von Norbert Blüm einen Eimer Wasser über den Kopf schütten. Dazu sein holländisches Idiom, diese charmante, unschuldige Abweichung, der im deutschen Abendprogramm seit jeher bereitwillig Platz eingeräumt wird.
Und weil es ausschließlich um den Profi Carrell ging, erfuhren wir vom Menschen Kesselaar höchstens, dass er Vater und Mutter schätzt und die Familie schützt. Die akribische Rekonstruktion seiner televisionären Existenz aber kannte in ihrem Kreisen keine Höhen oder Tiefen, einzig das Gesicht des Jubilars selbst bot Halt im Sturm der Bilder und Schnipsel. Bis man gar nicht mehr anders konnte, als nur noch stumpf über dieses Gesicht zu meditieren, das wegen irrwitziger Zeitsprünge im Sekundentakt mal jung, mal alt, niemals aber alternd erschien: Carrell als Kontinuum. „Fast ein Selbstporträt“ nannte Klaus Michael Heinz seinen Film. Es war fast ein Nachruf. Arno Frank
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