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Am Sonntag stimmen in Schröder-Land die Niedersachsen nicht nur über die künftige Richtung ihrer Landespolitik ab. Viel wichtiger ist, daß sie den SPD-Kanzlerkandidaten mitbestimmen. Für Gerhard Schröder, der landespolitisch eher mies dasteht, war die Kandidatenstrategie die einzig erfolgversprechende im Wahlkampf. Aus Hannover Jürgen Voges

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Das Gesicht so ernst und entschlossen wie großformatig. Daneben nur ein einzelnes Wort: „Entscheiden“. So hängt er bis zum Wahltag nun allerorten, dieser letzte Aufruf des Gerhard Schröder an die Niedersachsen. Das beinahe bärbeißige Porträt des SPD- Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidatenkandidaten zielt augenscheinlich auf jene Wählerschichten, die ihn nach den Befunden der Demoskopen ohnehin am meisten mögen: nicht mehr ganz junge Männer mit nicht allzu hohem Bildungstand. Mit dem einzelnen Wort des inhaltsleeren Plakates wollen die SPD-Wahlwerber keineswegs nur die Schröder zugeschriebene Tatkraft unterstreichen. „Entscheiden“ sollen in ihren Augen die Niedersachsen nicht über einen Ministerpräsidenten. Sie sollen Gerhard Schröder vor allem endlich von jahrelangen Kandidatenqualen erlösen.

Damit es so weit kommen konnte, hat Gerhard Schröder viel auf sich genommen. Am Anfang, in den späten Siebzigern, mußte sich der Juso-Bezirksvorsitzende Schröder noch geschickt neben seinem Parteivorsitzenden plazieren, just wenn die Lokalreporter ihre Pressefotos vom Brandt schossen; auch Meisterschaft im Umgang mit den Medien will von der Pike auf gelernt sein. Heute, kurz vor dem Etappenziel Kanzlerkandidatur, verzichtet Schröder seit beinahe sechs Wochen sogar auf jeden Tropfen Alkohol. „Im Wahlkampf macht er Ramadan“, heißt es in seiner Umgebung. Wie dieser Schröder-Ramadan endet, entscheiden nun am Montag das SPD- Präsidium und der Parteivorstand.

Die für den Montag anberaumte Sondersitzung des Vorstandes ist die Wahlhilfe, die die Bonner Genossen dem Ministerpräsidenten schuldig waren. Jetzt dürfen die Niedersachsen tatsächlich über den SPD-Kanzlerkandidaten mitbestimmen. Genauso wie die inhaltlichen Unterschiede zwischen Schröder und Lafontaine stets maßlos überschätzt werden, so haben es die Sozialdemokraten auch mit der Terminierung der Kandidatenkür bewußt spannend gemacht. Inhaltlich ist die Arbeitsteilung zwischen Lafontaine und Schröder die Antwort der SPD auf die Heterogenität ihrer Anhänger, an der keine bundesdeutsche Partei so sehr krankt. Schröder soll die Stammwähler aus den unteren Schichten bei der Stange halten – für die die Wahlalternative oft SPD oder Reps lautet –, Lafontaine das ausfransen nach links oder grün verhindern.

Schröder selbst und auch SPD- Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering haben am Mittwoch übereinstimmend erklärt, daß die Sondersitzung des SPD-Parteivorstandes, auf der am Montag die Präsidiumsentscheidung über den Kanzlerkandidaten abgesegnet werden soll, schon vor Wochen vereinbart wurde. Dabei habe man sich auch darauf geeinigt, diese Terminierung erst am Mittwoch nachmittag vor der Niedersachsenwahl bekanntzugeben, fügte Müntefering hinzu.

Besser hätte Schröder sich das nicht wünschen können. Schließlich fand am Mittwoch abend das einzige Fernsehduell zwischen dem Ministerpräsidenten und dem CDU-Spitzenkandidaten Christian Wulff statt. Da mußte Schröder nolens volens das einzige Mal in diesem Wahlkampf eine dreiviertel Stunde lang über landespolitische Themen mitreden, bei denen er nach allen Umfragen ziemlich mies dasteht. Just vor dieser Diskussion zog Müntefering von Bonn aus schnell die bundespolitische, die Kandidatenkarte.

Als erster hatte natürlich Schröder selbst im vergangenen Jahr die Brücke zwischen niedersächsischer Landtagswahl und SPD- Kandidatenkür geschlagen – wohl wissend, daß nach vier Jahren des Sparens in Hannover ein kräftiger Dämpfer drohte, daß die Kandidatenstrategie bei dieser vierten Schröderschen Landtagswahl in Niedersachsen als einzig noch erfolgversprechende übrigblieb. Mit der Aussage: „Bei einen Verlust von 2 Prozent in Niedersachsen stehe ich als SPD-Kanzlerkandidat nicht zur Verfügung“, verkaufte der SPD-Politiker einmal mehr den Medien eine Banalität als Nachricht. Denn eigentlich hatte Schröder nur die Binsenweisheit in eine Formel gefaßt, daß auch die SPD keinen Loser zum Kanzlerkandidaten machen kann.

Schröder hat 1994 nur deswegen mit 44,3 Prozent der Wählerstimmen die absolute Mehrheit im Landtag erzielt, weil nach dem Ausscheiden der FDP 11,9 Prozent der Wählerstimmen bei der Sitzverteilung nicht mehr zählten. Die 44,3 Prozent waren das beste SPD- Landtagswahlergebnis nach 1970 und der Lohn für die erfolgreiche rot-grüne Koalition, die von 1990 bis 1994 im Bundesland Niedersachsen regierte. Die CDU sackte 1994 mit ihrem damals noch unbeholfenen und kaum bekannten Spitzenkandidaten Christian Wulff auf 36,4 Prozent ab, ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis seit 1993.

Den eigentlich fälligen Rückschlag hofft Schröder nun durch den SPD-Kandidatenzirkus zu vermeiden. Und natürlich wird er auch dann in ein oder zwei Jahren der niedersächsischen Landespolitik den Rücken kehren, wenn er Sonntag verliert und nicht als Kohl-Herausforderer nach Bonn entschwindet.

Dabei ist er keineswegs der erste sozialdemokratische Ministerpräsident, der in Landtagswahlen strikt auf den Effekt „Einer von uns für Bonn“ setzt. Das gleiche tat einst Björn Engholm erfolgreich in Schleswig-Holstein, und Oskar Lafontaine gewinnt so bis heute regelmäßig seine heimischen Wahlen.

Aber Niedersachsen ist nun mal größer als das Saarland, und es hat es bis 1945 nicht gegeben. Hier wohnen Emsländer, Harzer, Braunschweiger und Hannoveraner. Wäre der Kandidatenkandidat ein Ostfriese, so hätte er wohl direkt hinterm Deich satte absolute Mehrheiten sicher. Aber Schröder stammt ja aus Johannes- Rau-Land, ist im Lippischen geboren. Man darf gespannt sein auf den Wahlabend, darauf, ob die bundespolitische Karte auch landauf landab in Niedersachsen sticht.

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