Die Vorschau: Am Ende der Welt
■ Fanfara Ciocarlia, die schnellste Band dies- und jenseits der Walachei, läßt die Lerchen am Donnerstag auf 200 Beats pro Minute tanzen
Der Trompeter Costica Trifan sagt: „Manchmal, wenn ich Leuten erzähle, daß ich aus Zece Prajini komme, denken sie, ich käme vom Ende der Welt. Aber hier am Ende der Welt ist der richtige Ort, um Musik zu machen.“
Zece Prajini? Da war doch was, aber nein, nichts und niemand erinnert sich daran. Sechs Stunden mit dem Auto sind es von Bukarest aus in nördlicher Richtung, wo dann wenig später auch Moldawien anfängt und auch die Walachei nicht fern ist. Abgesehen von den vierhundert Dorfbewohnern dürfte höchstens noch ein kurzsichtiger Bürokrat mit der Gicht in einem längst vergessenen Amtszimmer in Bukarest gewußt haben, wo Zece Prajini liegt, wäre nicht die rumpelnde und schlingernde Dorfmusik, die die Menschen in Rumänien, Serbien, Bulgarien oder Makedonien vor Jahrhunderten von ihren türkischen BesatzerInnen übernahmen und weiterentwickelten, auf ein kaufkräftiges Publikum gestoßen. In Emir Kusturicas Film „Underground“ entdeckten viele zum erstenmal eine Blasmusik, die sich nicht primär durch Bierseligkeit auszeichnete, sondern einen Blues in sich barg, dessen blaue Noten nicht aus Afrika, sondern in der kreiselnden Melodik des osmanischen Reichs wurzelten.
Die Fanfare Ciocarlia („Fanfare“ heißen die Blaskapellen in der Gegend, Ciocarlia sind die Lerchen dort) ist in Zece Prajini die erste und wahrscheinlich auch einzige Band am Platz und trotzdem etwas Besonderes. Hier wurde die Liebe zur handwerklichen Virtuosität und die Seele der nur in Wort und Tat, also ganz ohne Papier tradierten Musik in ihrem Ganzen größer als seine Teile. Die Musiker, allesamt zwischen 20 und 70 Jahren alt, betonen stolz, die schnellste Tziganii-Band der Welt zu sein, was an längst vergangene Zeiten erinnert, als hyperventilierender Hardcore mit Stickern auf Plattenhüllen für die „schnellste Band der Welt“ warb und neue Rekorde in der ein-schlägigen Presse akribisch notiert wurden. Und das war seinerzeit wirklich ein Heidenspaß. Fanfare Ciocarlia haben die Ventile ihrer Instrumente mit speziellen Gummis frisiert, damit sie die Tempi, nicht selten bei 200 Beats pro Minute, auch spielen können, was von weitem an nicht ganz saubere Tricks erinnert und hübsch damit korrespondiert, daß das höchste Lob, was ein Musiker in der Gegend von Zece Prajini bekommen kann, „kriminell“ ist.
Manchmal spielen sie „Money Money Money“ von ABBA oder singen tollkühn ein paar rasante Takte irgendeines Tanzes aus den Wäldern Transsylvaniens vorneweg. Das deutsche Feuilleton greift verzückt zum Wörtchen „Derwisch“ und der „Stern“ kürt Fanfare Ciocarlia wider alle politische Korrektheit zu den schnellsten Zigeunern der Welt. Egal: hingehen und mitzappeln!
Andreas Schnell
Konzert: Donnerstag, 20.30 Uhr im Schlachthof
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