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Altmeister der Vertuschung

■ Wahrhaftige Trugbilder: Gerhard Richters Druckgrafik in der Bremer Kunsthalle / Endlich komplett!

Daß die Wirklichkeit in Wahrheit nur eine Glaubensfrage ist, weiß heute jeder bessere Talkshowgast, der seinen Baudrillard zitieren oder zumindest das Schlagwort „Simulation“ in die Runde zu werfen weiß. So dreht sich der Diskurs um die (mediale) Konstruktion unserer Realität wirklich im Kreise. Einer, der seit 30 Jahren daran maßgeblich mitdreht, ist Gerhard Richter.

Der medienkritische Gehalt seiner Fotogemälde ist hinreichend gewürdigt; zu entdecken ist noch das grafische Werk dieses Altmeisters der Subversion, in dem die Strategien Richters zur Überlistung aller Wirklichkeitsversprechen noch trickreicher angelegt sind. Seine edierten Augentäuschereien sind jetzt erstmals in versammelter Form in der Bremer Kunsthalle zu sehen.

Wie Fotos und Fernsehbilder unser Bild der Wirklichkeit formen bzw. deformieren: Diese Mechanismen führt uns Richter in seinen Bildern immer wieder vor Augen. Die Erkenntnis, die sich aus Richters Zerrbildern ablesen läßt, ist nicht eben neu; an den Tatsachen ändert das aber leider nichts. Im Gegenteil: Aus dem Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit sind die Bilder längst ins New Age der digitalen Manipulation geraten, wo sich die Frage nach dem Wirklichkeitsgehalt eines Bildes nun kaum noch stellen läßt. Mit dieser Aufrüstung kann Richter halbwegs mithalten: Die Schau in der Kunsthalle zeigt sehr schön die Entwicklung Richters zu immer heftigeren Bildtransformationen, in denen z.B. die Fotografie eines echten Richtergemäldes (nach einem Foto Richters) nunmehr im Offsetdruck erscheint. So schlägt Richter immer wildere Purzelbäume — geblieben aber ist das Unbehagen, das seine leicht verwackelte Version von Wirklichkeit auslösen kann.

So erscheint uns Richters Mao-Porträt aus dem Jahre 1968, zumal bei zunehmender zeitlicher Distanz, als schlichtes Bildnis eines dicken Mannes. Gutgelaunt bläht er die Pausbacken und versucht dabei doch recht würdevoll in die Linse zu blicken. Diese Art von Verschleierungstaktik, sei's durch Verwischen, Verwackeln, Vertuschen oder vielfaches Umkopieren, ist das ganze grafische Werk hindurch Methode geblieben: Gerhard Richter gibt den Bildern ihre Vieldeutigkeit zurück.

Mao kann wie ein lieber Verwandter wirken, die lieben Verwandten wie Schwerstverbrecher, eine friedliche Landschaft wie ein Kriegsgebiet. Tatsächlich herrscht in Richters Realität fast immer Krieg: Die künstlich reproduzierten Schlieren, Streifen und Bewegungsspuren lassen die Fotos der Kriegsberichterstatter assoziieren, die hastig und unter Einsatz des Lebens ihre Katastrophenbilder schießen. Daß diese permanente Krisenstimmung noch heute ihre Wirkung zeigt, hat die peinliche Aufregung um Richters „Stammheim-Zyklus“ vor zwei Jahren gezeigt.

Manchmal aber kann Richter seine Sache auch ganz leicht nehmen. Das eigene Künstlerbild möglichst selbstironisch zu durchkreuzen - das ist zwar längst zum Ritual geworden. Vor Neunmalklugen wie Kippenberger und Koons aber hat Richter sich (und den Rest des Kunstmarkts) in den 60ern schon selbst auf die Schippe genommen. So grinst er uns nun im Selbstbildnis mit seinem Künstlerfreund Polke an, wie beide in billigen Hotelbetten liegen. Das Bild ist schlecht, der Druck ist schlecht — aber der Zweck ist erreicht: Das gezielt hingeschluderte Bild, inzwischen per Siebdruck veredelt, prangt nun ikonengleich in der Kunsthalle.

So wird Richter seine doppelte Freude daran haben, wie ehrfürchtig die Bremer seine Drucke aufgearbeitet haben. Die klug gegliederte Schau, gespickt mir Kreuz- und Querverweisen auf Richters übriges Werk, wird von einem gleichfalls klugen Katalog begleitet (Hubertus Butin). Und einen Preis bekommt Richter auch noch: Am Sonntag, 24.10., wird er mit dem Kunstpreis der Norddeutschen Landesbank (Nord/LB) ausgezeichnet und wohnt der Eröffnung seiner Ausstellung bei. Thomas Wolff

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