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Altes Feindbild

■ Die Justizaktion gegen Adriano Sofri

G A S T K O M M E N T A R

Die Auflösung der Feindbilder“ - unter diesem Titel sprach Adriano Sofri vor fünf Jahren auf einem Kongreß in Bozen: Er sprach von der Schwierigkeit und der Schönheit des menschlichen und moralischen Abenteuers, das einer erlebt, wenn er sich auf die Welt und die Menschen, die man trifft, tatsächlich einläßt und sich von alten Mustern befreit insbesondere von den Kategorien „Feind“ und „Lager“. Sofri hat uns damals vor allem daran erinnert, daß niemand der Sklave seiner eigenen Geschichte ist, daß jeder sich ändern kann. Heute, angesichts der Verhaftung Sofris und der anderen, kommt einem der Verdacht, jemand müsse unterstreichen, daß wir Sklaven des Images sind, das wir uns selbst und vor allem „die Feinde“ jedem von uns übergestülpt haben.

Ich bin fest davon überzeugt, daß Adriano Sofri nichts mit der Mordanklage zu tun hat, aber das hat keine Bedeutung. Auch der Verdacht zählt nicht, daß da jemand mit der Verhaftung Sofris einigen seiner heutigen Freunde den Prozeß machen will. Es zählt hingegen folgendes: Ein bestimmter Teil der Justiz und der Polizei will anscheindend - egal ob in einer moralischen und zeitlichen Distanz, die in Lichtjahren mißt - alte Rechnungen begleichen und jeden wieder auf seinen angestammten Platz setzen. Die Plätze bleiben: der Linksextremist und der Ordnungshüter, der seiner Straflosigkeit sicher sein kann, auch wenn am Ende des Polizeiverhörs der Anarchist Pinelli tot ist; der „Feind“ eben, dem eine Möglichkeit zur Veränderung versagt bleibt. Ich hoffe - mehr für die Justiz als für Sofri -, daß die Richter nicht glauben, man könne die Geschichte wirklich mit entstellten Verhörprotokollen schreiben. Alexander Langer, Landtagsabgeordneter in Südtiro

und früherer Chefredakteur von 'Lotta Continua

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