Alternativer Weltkarten-Entwurf: Kein Zentrum, keine Richtung
Die japanische Authagraph-Weltkarte mutet zerknautscht an. Ihr Designer Hajime Narukawa will mit ihr neue Denkräume erschließen.
Als Kind machte es Hajime Narukawa Spaß, die Milchtüten aus der Schule aufzublasen und mit einem Knall platt zu treten. Schon damals erschien es ihm kurios, dass die pyramidenförmigen Kartons zu rechteckigen Flächen wurden.
Als Erwachsener beschäftigte sich Narukawa, inzwischen studierter Architekt und Produktdesigner, erneut mit der Frage, wie ein dreidimensionales Objekt zu einer Ebene werden kann. Allerdings war der Maßstab ein anderer: Nicht mehr um Milchpackungen ging es, sondern um die Erde.
„Authagraph Map“ heißt die abenteuerlich anmutende Weltkarte, die Narukawa zusammen mit seinem Team entwickelte. 2009 wurde sie erstmals öffentlich vorgestellt, inzwischen findet sie laut ihrer Website in Japan sogar in Schulbüchern Verwendung. Nachdem sie den japanischen „Good Design Grand Award“ im November gewonnen hatte, wurde sie auch in deutschen Medien vorgestellt.
Nun gibt es bereits viele Hunderte Methoden, die eigentlich unmögliche Aufgabe zu lösen, die Erdoberfläche aufs Papier zu bringen. Der große Fixpunkt ist dabei bis heute die Mercator-Projektion. Sie wurde in ihrer Urform 1569 vom Kartografen Gerhard Mercator geschaffen und sie wird heute genutzt, unter anderem von Google Maps.
Aufgeblasene Polarregionen
Ihr Erfolgsgeheimnis ist die „Winkeltreue“: Bei der Mercator-Projektion wird eine Kugel auf einen Zylinder projiziert. Daher bleiben die Längengrade immer parallel. Das führt an den Rändern der Karte zu enormen Flächenverzerrungen, die Polarregionen sind zu breiten Schlieren verzerrt. „Dabei sind das sind wirtschaftlich und politisch gesehen extrem wichtige Regionen“, meint Narukawa. „Die dürfen wir in Zeiten des Klimawandels nicht weiter ignorieren.“
Also suchte Narukawa auch anderweitig nach Inspiration und fand sie in der weitaus weniger bekannten „Dymaxion Map“ von Richard Buckminster Fuller. Buckminster Fuller war Architekt, Designer, Universalgenie, Lebensforscher. Berühmt wurde er für seine Kuppelbauten, genau wie Narukawa stieß er als eigentlich Fachfremder zur Kartografie stieß.
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Er entwickelte seine Weltkarte in den 40er Jahren auf der Basis einer einfachen geometrischen Idee: Seine Dymaxion-Projektion lässt sich zu einem stark vereinfachten Globus, einem Polyeder („Vielflächer“) zusammenfalten. Die Karte bietet ein flächengetreues Abbild der Erde, ergibt jedoch keine rechteckige Form: Die Ozeane sind durch große Einschnitte unterbrochen.
Narukawa wollte es besser machen: „Das Ziel meiner Karte ist es, so nützlich und vollständig wie eine Mercator-Projektion und dabei so akkurat wie die Dymaxion Map zu sein“, sagt er. Und bei der methodischen Umsetzung kamen die Milchtüten aus seiner Kindheit wieder ins Spiel: Die Erdoberfläche zerteilte er in 96 Einzelflächen, die sich auf den vier Seiten einer Pyramide abbilden lassen – und von dieser Basis aus, puff!, eingeebnet werden können.
Ästhetisch und windschief zugleich
Die so entstandene Karte mutet zugleich ästhetisch und zerknautscht an, wie auseinandergefallen und windschief wieder zusammengesetzt – ihr Origami-Erbe hinterlässt seine Spuren. „Unsere Projektionsmethode bringt die Längen- und Breitengrade komplett durcheinander“, gibt Narukawa zu. Er wisse, dass die Karte wissenschaftlich noch einige Mängel aufweise. Sein Labor arbeite daran, diese zu beheben.
Der Grundimpuls der Authagraph-Karte war jedoch nie ausschließlich wissenschaftlicher Natur. Narukawa geht es auch darum, mittels geometrischer Meditationen neue Denkräume zu erschließen: „Mein Arbeitsplatz ist so chaotisch wie ein Kinderzimmer. Wenn ich einer Idee folge, fange ich nie damit an, Bücher zu lesen. Ich zeichne und baue Modelle – oft fängt meine Hand etwas an zu tun, was nicht vorgesehen war.“
So kommuniziert die Weltkarte ihre politischen Ansprüche auf spielerische Weise: indem jeder Punkt der Erde zum Zentrum werden kann etwa und indem sie sich unbeschränkt aneinanderreihen lässt. Das entstehende Bild stellt herkömmliche Richtungszuweisungen („der hohe Norden“, „der Westen“) auf den Kopf und bietet nebenbei einen poetischen Beitrag zur aktuellen politischen Lage: Die Welt kehrt immer wieder zu sich zurück. Es gibt nur eine – allein deshalb ist es so wichtig, aus dem regionalen Klein-Klein-Denken auszubrechen.
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