: Alternative Hocharabisch
■ betr.: „Algerien wird zum zweiten Mal arabisiert“, taz vom 3. 4. 97
Es gibt zwei Gründe, die zurückgehende Dominanz der französischen Sprache in Algerien nicht zu bedauern.
Der Streit um die Arabisierung in dem durch 200 Jahre Kolonialismus gebeutelten Algerien spiegelt die Zerrissenheit und Entfremdung des Landes wieder. Noch in den 50er Jahren hatten Algerier, die das Privileg genossen, eine Schule besuchen zu können, keine andere Wahl als die des francophonen Schulsystems. Dies bedeutete, daß Menschen mit Arabisch als Muttersprache (der algerische arabische Dialekt) in einer Fremdsprache unterrichtet wurden, während sie bezüglich ihrer eigenen Sprache gezwungen wurden, Analphabeten zu bleiben. Die Entfremdung war von der französischen Kolonialmacht gewünscht: Die algerischen Schulkinder lernten, wie vor Portier das Abendland gerettet wurde, und malten Bilder zum Thema „Wie schön sind die französischen Alpen“. Die sprachliche Kolonialisierung der Berber findet hier ihr unmittelbares Vorbild.
Das moderne Hocharabisch ist nicht die „Koransprache“. Obwohl der Koran die bis heute gültige grammatikalische Grundlage der arabischen Sprache darstellt. Wer des Hocharabischen mächtig ist, hat ungeahnte Kommunikationsmöglichkeiten, da Arabisch in einer Vielzahl von Ländern, von Marokko über Sudan, Jemen bis Irak gesprochen wird. Das kulturelle Erbe beschränkt sich nicht auf den Koran, und wer nur den lokalen Dialekt beherrscht, diesen nicht einmal schreiben kann, hat auch keinen Zugang zur arabischen Literatur, Poesie und Philosophie.
Nur wer seine Muttersprache beherrscht, kann sich einen persönlichen Zugang zur Geschichte seines Landes, seiner Gesellschaft verschaffen. Die Geschichte Algeriens ist nicht die Frankreichs und Europas.
So ist das Hocharabische die eigentliche Alternative, um eine über die Dialektgrenzen hinausgehende Verständigung zu ermöglichen (und nicht Französisch). Daß die progressiven Eliten Algeriens sich in französischer Sprache äußern, verdeutlicht einmal mehr die Zerrissenheit der algerischen Gesellschaft. Übrigens ein Phänomen, daß es im Nahen Osten nicht gibt. Carina Möller, Gießen
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