Alternative Hinterhof-WG gibt auf: Kein Schutz trotz Schutzverordnung
Eine Künstler:innen-WG, die sich mit Hilfe des Hamburger Senats eine Fabriketage in Ottensen hergerichtet hat, muss ausziehen. Die Politik ist machtlos.
Seit den 1980er-Jahren wohnte und arbeitete die Künstler:innen-WG im dritten Stock des alten Fabrikgebäudes, 1988 organisierte sie sich als Verein, um von der Stadt Hamburg Fördergelder für die Sanierung ihrer Räume zu bekommen. Das vom Senat aufgelegte Programm nannte sich „Alternative Baubetreuung“, 388.000 DM flossen damals, damit sie ihre Fabriketage zusammen mit einem alternativen Sanierungsträger herrichten konnten.
Nicht alle blieben, es kamen neue Leute, aber die Fluktuation hielt sich in Grenzen. Während um sie herum auf dem freien Wohnungsmarkt die Mieten anzogen und der Stadtteil Ottensen sich zu einer linksbourgeoisen Enklave entwickelte, in der sich sehr gut, aber eben auch sehr teuer leben lässt, konnte die WG, die sich nach einer Feuerschutzverordnung ironisch „F91“ nannte, in ihrer Fabriketage bleiben – dank einer niedrigen Miete.
Zwar mussten sie im Gegenzug das alte Gemäuer selbst instand halten, aber sie konnten bleiben – bis der langjährige Eigentümer, ein Erbe der ehemaligen Fabrikbesitzer, das Gebäude vor zwei Jahren an einen Hamburger Investor verkaufte.
Frühere Verkaufsversuche hatte die Stadt mit dem Verweis auf ihr Vorkaufsrecht abgeblockt. Denn der Hinterhof liegt mitten in einem Gebiet, in dem eine „Soziale Erhaltungsverordnung“ gilt. Deren Ziel sei es, „die Zusammensetzung der ansässigen Wohnbevölkerung zu erhalten und vor Verdrängung zu schützen“, so steht es auf der Homepage der Stadt Hamburg.
Das Vorkaufsrecht soll dazu dienen, dieses Ziel zu erreichen. 2021 jedoch wurde es in seiner jetzigen Fassung vom Bundesverfassungsgericht gekippt und wartet seitdem auf eine Neuformulierung – zuständig dafür ist der Bundesjustizminister, derzeit von der FDP.
Schon ohne diese juristische Vollbremsung konnte man über die Schlagkraft dieser Waffe für den Mieterschutz verschiedener Meinung sein, sah die Immobilienbranche doch durchaus Möglichkeiten, sie auszuhebeln. So aber war nun gar kein Halten mehr. Der neue Käufer des Fabrikensembles, die Lapis Real Estate, überzog die beiden verbliebenen WGs mit Räumungsklagen, ließ das Gebäude samt Bewohner:innen mit einer Drohne filmen und gerade erst sanierte Fenster aus „Brandschutzgründen“ zumauern.
Die Sache ging vor Gericht. Doch während die WG aus dem 2. Stock, die „Wilde 13“, ihren Prozess in erster Instanz vor dem Amtsgericht gewann, sah es für die F91 aus dem dritten Stock weniger gut aus. Zum Problem wurde dabei genau die Rechtsform, die sie gewählt hatte, um seinerzeit an dem städtischen Sanierungsprogramm teilnehmen zu können. Die F91 ist ein Verein, nach jetziger Rechtslage aber kann ein Verein keinen Wohnmietvertrag haben. Obwohl die WG also in der Fabriketage wohnt, gilt der Mietvertrag als Gewerbemietvertrag und ist damit auch leicht kündbar.
Vor dem Hamburger Landgericht, wo die Sache landete, wurde zwar festgestellt, dass auch im dritten Stock des Fabrikgebäudes ganz offenbar jemand wohnt, die Mieter:innen also wohl irgendwie geschützt werden müssten. Doch die Verhandlung wurde vertagt, und im weiteren Fortgang scheinen die Konditionen, zu denen die Mitglieder der WG hätten weiter wohnen bleiben können, nicht sehr verlockend gewesen zu sein.
Des Kämpfens müde
Was genau passiert ist, kann nur vermutet werden, denn die WG F91 will zu der Angelegenheit nichts mehr sagen. Davon, dass die WG auszieht, erfuhr die taz von einer ehemaligen Mitbewohnerin. Sie seien des Kämpfens müde, sagte sie.
Schon im vergangenen Jahr hatte sich die F91 hilfesuchend an den Senat gewandt. Im Antwortschreiben aus der Baubehörde stand, die Sache täte ihnen sehr leid, aber die Soziale Erhaltungsverordnung sei „kein Instrument des individuellen Mieterschutzes“. Nach einer Kündigung müsse der Wohnraum nur wieder als Wohnraum vermietet werden. Der Schutz durch das Sanierungsprojekt des Senats, an dem die WG beteiligt war, habe nur für 20 Jahre gegolten, für den Vermieter ergäben sich daraus keine Verpflichtungen mehr.
Man „bedauere sehr, Ihnen nicht konkreter helfen zu können“, und danke für „Ihr Engagement“, so endet das Schreiben, das für die F91 wie Hohn geklungen haben muss.
Bleibt als letzter Hort des Widerstands die WG aus dem 2. Stock, die Wilde 13. „Wir haben ja erst mal die Räumungsklage gewonnen“, heißt es von da, das Urteil sei „eindeutig“ gewesen. „Wir bleiben auf jeden Fall!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation