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■ Die zwei Joachims im Kunsthistorischen Museum in WienAlte Meister und Plagiate

Erst für halb zwölf mit dem anderen Joachim im Kunsthistorischen Museum verabredet, war der eine Joachim schon um halb elf Uhr dort, um ihn, wie er sich schon längere Zeit vorgenommen gehabt hatte, einmal von einem möglichst idealen Winkel beobachten zu können, dachte der eine Joachim.

Fast mehr noch als auf das Beobachten des anderen Joachims freute sich der eine Joachim darauf, während dieser Stunde, in der er auf der samtbezogenen Sitzbank gegenüber Tintorettos Weißbärtigem Mann im sogenannten Bordonesaal auf den anderen Joachim warten würde, in einem einstündigen Monolog jede sogenannte Kunst und jeden Künstler, der im deutschen Kulturkreis jemals zu Ruhm gelangt ist, mit einer grandiosen Tirade über die Nutzlosigkeit der Kunst und die Stümperhaftigkeit der vorgeblich großartigsten Kunstwerke zu überziehen. Er würde in diesem Monolog die Kunsthistoriker eigentliche Kunstvernichter und tatsächliche Kunsttöter, die Philosophie absolut hilflos, Bruckner einen kompositorischen und Stifter einen literarischen Müllerzeuger, Heidegger den lächerlichen nationalsozialistischen Pumphosenspießer und Voralpenschwachdenker sowie einen Pantoffel- und Schlafhaubenphilosophen und Schiele und Klimt Kitschisten nennen. Obwohl er noch nie in seinem Leben im Wiener Kunsthistorischen Museum gewesen war, kam dem einen Joachim die Szenerie vertraut vor, er hatte ein Déjà-vu-Erlebnis, wie man sagt. Es war ihm, als habe er die nahe Zukunft schon einmal erlebt oder in einem Roman gelesen. Geradezu diebisch freute er sich darauf, Mahler als den überschätztesten Komponisten des Jahrhunderts, der nichts als Massenhysterie erzeugenden Kitsch produziert habe, zu bezeichnen, während er die zeitgenössischen Schriftsteller, die ihren opportunistischen Kitsch in der Paulskirche vorlesen, Schmierenkomödianten und die Politiker von Grund auf verbrecherisch und eine Horde von Schweinehunden nennen würde.

Noch während dem einen Joachim diese Gedanken durch den Kopf gingen, die ihm viel Freude bereiteten und Trost spendeten, betrat der andere Joachim das Kunsthistorische Museum und eilte mit wehendem Trenchcoat auf den einen Joachim zu, der ihn sogleich schimpfend empfing, weil er ihm seine Tirade versaut und ihn damit um seinen einstündigen Monolog, der hier vorgesehen gewesen sei, gebracht habe, so der eine Joachim zu dem anderen. Der andere Joachim aber entgegnete, der als grandiose Polemik angekündigte Monolog des einen Joachim sei nichts weiter als ein Plagiat, er sei vom ersten Wort an wörtlich bei Thomas Bernhard, den man Meister der Übertreibung und Wiederholung genannt habe, abgekupfert, der eine Joachim sei also nichts weiter als ein Plagiator, nichts anderes als ein Gauner in diesem Land voller Gauner, in diesem bankrotten Land, in dem man statt Gesichter nur mehr einen gigantischen Haufen von erschreckendem Physiognomiemüll ertragen müsse und das eine Senkgrube der Lächerlichkeit sei.

Er aber, der eine Joachim, sei in seiner Anmaßung genauso gemein und niederträchtig und genauso verlogen wie die ganze unselige Bagage, die er mit geklauten Worten beschimpfe, weshalb die Agentin C ihn, den anderen Joachim, schon eine Stunde früher in das Kunsthistorische Museum habe schicken lassen, damit er die Blamage noch abwenden könne, so angeblich C laut dem Boten H, der dem anderen Joachim den Auftrag Cs überbracht hatte, so der andere Joachim zu dem einen Joachim auf der Bank gegenüber dem Weißbärtigen Mann von Tintoretto im Kunsthistorischen Museum in Wien. Joachim & Joachim

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