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Alte Hüte vor leeren Stühlen

■ Bei der Haushaltsdebatte im Bundestag wurden die Themen der Sommermonate noch einmal aufgewärmt / Oppositionschef Vogel kritisiert Staatsverschuldung und Steuerreform / Parlamentarier desinteressiert

Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Ein netter Service für all diejenigen, die aus dem Urlaub eintrudeln und in den Wochen zuvor vernünftigerweise auf die Zeitungslektüre verzichtet haben: Die alljährlichen Bundestagsdebatten im September für den kommenden Haushalt. Alle Parteien nehmen dabei die Gelegenheit wahr, die alten (Sommer–Hüte nochmal vom Ständer zu holen. SPD–Fraktionschef Vogel stellte als Oppositions–Hauptredner die Haushaltsführung der Koalition als solche in Frage: 1990 werde im Haushalt dank Steuerreform eine noch höhere Finanzierungslücke klaffen als unter den SPD–Regierungen Brandt und Schmidt (und die waren schon sehr hoch, wollte er damit wohl andeuten). Noch mehr Geld will Vogel für Werften und Stahlindustrie bereitgestellt wissen, um deren Strukturkrisen zu überwinden. Folgerichtig: Seine Partei lehne unter den gegebenen Umständen eine Steuersenkung ab. Ungerecht sei es auch, wenn dabei die Reichen zu Lasten der Armen entlastet würden. „Jammervoll“ sei der Zustand der Koalition sagte Oppositions–Chef Vogel, weil Bundeskanzler Kohl „mit erkennbarem Widerwillen“ auf die Pershing 1A verzichten wolle, dafür aber unter den Regierungspar teien keine Mehrheit zustande bringe. Wie auf Bestellung bestand danach der CSU–Landesgruppenchef auf Beibehaltung der Raketen. Man könne sie doch als Faustpfand bei weiteren Verhandlungen mit der Sowjetunion einsetzen, die mit einer „dreifachen Übermacht“ ganz Europa bedrohe. Und wenn die SPD jetzt die wachsende Staatsverschuldung beklage, so solle sie sich doch bitte an ihre „Rentenlüge“ aus den Siebzigern erinnern. Waigels Koalitions–Widerpart in der Rake tenfrage, Außenminister Genscher, suchte wegen des regierungsinternen Zwist den äußeren Hauptgegner: Die Behauptung der Grünen, die BRD strebe danach, Atomwaffen zu besitzen, sei nicht nur „unverantwortlich“, sondern gar „in der Sache falsch“, also eine „politische Umweltverschmutzung“ (siehe S. 4). Auch der Bundeskanzler persönlich zog gestern nicht als Publikumsmagnet, bei seiner ausführlichen Zwischenbilanz des Honeckerbesuchs in der Debatte über den nächsten Bundeshaushalt waren nur wenige Stühle besetzt. Die Besuchsergebnisse seien beachtlich, in den kommenden Monaten werde dies sichtbar, gab sich Kohl zuversichtlich. Ceterum censeo: „Wir werden uns auf Dauer nicht mit der Teilung Deutschlands abfinden“, die Bundesregierung halte an der Einheit der Nation fest, und: „Die DDR ist für uns nicht Ausland“. Fürwahr, all dies weckt ungeheure Spannung auf das nächste Großspektakel im hohen Haus: Die Debatte „zur Lage der Nation“ nach der Jahreswende.

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