: Als Adolf Hitler die Tränen kamen
Im Roman „Trabanten“ lässt Falko Hennig die Nazispitzen eine Probefahrt im KdF-Wagen auf dem Berliner Ring unternehmen. Da zeigt das Pathos seine triviale Seite. Textauszüge
Schon zu seinem Geburtstag am 20. April 1938 hatte Ferdinand Porsche Hitler das Modell des Volkswagens überreicht. Hitler war sehr amüsiert über den kleinen Motor hinten im Kofferraum. Der Grundstein der Volkswagenfabrik bei Fallersleben wird am 26. Mai gelegt. In seiner Rede nennt Hitler die Autos nach der Gemeinschaftsorganisation „Kraft durch Freude“ KdF-Wagen.
Danach besichtigt Hitler die drei Prototypen, neben ihm der Generaldirektor für das deutsche Straßenwesen, Dr.-Ing. Fritz Todt. Hitler klopft dem ebenfalls anwesenden Wernher von Braun auf die Schulter, Todt und von Braun nehmen auf der hinteren Sitzbank Platz. Albert Speer, der Generalbaudirektor für die Reichshauptstadt, setzt sich ans Steuer des KdF-Wagens, neben ihm der Führer.
Dr. Ferdinand Porsche, der geniale Konstrukteur, steigt in den zweiten Wagen, neben ihm Reichsorganisationsleiter Robert Ley. Die Journalisten der internationalen Presse beeilen sich, noch im dritten und letzten KdF-Wagen Platz zu finden. Doch die meisten müssen zurückbleiben, als Speer mit Hitler, Todt und von Braun an der Spitze der kleinen Kolonne das Gelände bei Fallersleben verlässt.
Albert Speer wirft einen Seitenblick auf Hitler, dann öffnet er eine Klappe über Hitlers Knien; ein Autogrammophon mit Röhrenverstärkern. Speer behält die Straße im Auge und steuert sicher, auch als er mit der rechten Hand die Nadel auf die rotierende Platte senkt.
Leises Geigensummen beginnt, das sich zu einer wilden Melodie steigert. Hitler blickt gerührt zu Speer, der schaut zuversichtlich geradeaus. Er ist sicher, dem Führer eine Freude gemacht zu haben: Hitlers Lieblingsoper „Lohengrin“. Hitler schaut nach vorn, Speer, Todt und von Braun sollen seine Tränen nicht sehen.
Die kleine Kolonne fährt auf die Südtangente des Berliner Rings, aus dem Lautsprecher des Cabriolets an der Spitze ertönt „Lohengrin“, Albert Speer hat eine gewisse Meisterschaft im einhändigen Wechseln der Grammophonplatten entwickelt.
Der Wagen mit Ferdinand Porsche und Robert Ley zieht auf der Überholspur gleichauf. Porsche beugt sich nach vorn, lächelt zu Hitler hinüber und winkt. Hitler grüßt freundlich zurück, ihn verbindet mit Porsche die Herkunft aus Österreich, der Ostmark.
Sie fahren in den neuen KdF-Wagen über die Straßen des Führers, Berliner Ring, der Ring des Nibelungen. Jetzt ist Albert Speer dran, die anderen sind etwas verdrossen, Speer hat doch sowieso Hitlers Ohr, was muss der gerade jetzt seine Pläne erläutern?
„Eine Nord-Süd- und eine Ost-West-Achse sollen Berlin durchschneiden. Die Idee dieser Achsen ist uralt, noch von vor der Jahrhundertwende. Wie ein Fadenkreuz aber will ich diese beiden Achsen mit fünf Straßenringen verbinden. Der äußerste Ring ist der Berliner Stadtring, auf dem wir fahren, die Autobahn um Berlin, der Berliner Ring.“
„Ach“, sagt Hitler, „dann fahren wir jetzt auf Speers fünften Ring?“ Speer lächelt kurz, fährt fort: „Dieser Ring wird die Großhauptstadt Germania und ihre acht Millionen Einwohner umschließen.“ Aus dem Grammophon schallt ein Männerchor. Speer, von Braun und Fritz Todt singen oder summen bei geringerer Textkenntnis: „Seht, er ist von Gott gesandt! Heil! Heil! Heil!“
Der Wagen des Führers zerreißt das Startband; der dreißig Kilomter lange Abschnitt von der Anschlussstelle Potsdam-Beelitz bis zur Anschlussstelle Rangsdorf-Hallesches Tor des Westteils des Berliner Südrings der Reichsautobahn ist eröffnet. Hunderttausende umsäumen die Strecke, überall Fähnchen, Adler mit Hakenkreuz, große Fahnen wehen im Wind. „Seht, er ist von Gott gesandt! Heil, Heil! Heil!“
Aus Falko Hennig: „Trabanten“. Roman, Piper Verlag, broschiert, München 2003, 8,90 Euro