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Alptraumpoesie

■ Emir Kusturicas Film: „Arizona Dream“

Traum. Wie ein goldener Heilbutt, der stumm durch die Welt fliegt. Oder wie ein praller roter Luftballon, der von Alaska bis nach New York schwebt und dort an der Schulter eines jungen Mannes zerplatzt. „Guten Morgen, Kolumbus!“ hatte seine Mutter früher immer zu ihm gesagt. Heute meinen die Leute, Axels Arbeit im New Yorker Fischereihafen bestehe nur aus stumpfsinnigem Zählen von Fischen, dabei blickt er diesen doch in die Träume und läßt sie wiederum in die seinen sehen.

Axels Träume begleiten ihn westwärts: „Arizona Dream“ ist der neueste Film von Emir Kusturica; nach „Papa ist auf Dienstreise“ und „Time of the Gypsies“ der erste Film des Regisseurs aus Sarajewo mit einer amerikanischen Geschichte, amerikanischen SchauspielerInnen, Drehort USA. Ein Europäer in Amerika — eine Entmythologisierung des “American Dream“? Emir Kusturica erzählt uns ein poetisches Märchen, das zugleich Tragikomödie ist, eine heitere Geschichte vor schrecklichem Hintergrund.

Scheußlich und amüsant ist das, was sich zwischen Kusturicas Figuren abspielt, denn „Arizona Dream“ ist eine vertrackte Liebesgeschichte. Axel (Johnny Depp), der nach dem Tod seiner Eltern in New York abgetaucht war, soll nach dem Wunsch seines Onkels (Jerry Lewis) rosa Cadillacs verkaufen. Er verliebt sich in Elaine (Faye Dunaway) und verstrickt sich in deren Psycho-Clinch mit ihrer Stieftochter Grace (Lili Taylor).

Kusturica probt den Grenzgang der Gefühle, poetisch, magisch und brutal. Oft fällt sein (Kamera-)Blick durch Fenster oder über den Spiegel auf die Menschen und ihre Abgründe, läßt Raum für eine zweite Wirklichkeit, zeigt Luft und Himmel und die unendliche Weite der Wüste Arizonas. Abheben und Fliegen ist eine durchgehende Metapher in diesem Film.

Selbst der Tod kann so leicht sein. Oder aber er ist dramatisch und gräßlich. Beides bringt Kusturica zusammen. Und lehrt uns, daß für jeden Traum ein alter Traum sterben muß. Eine schmerzvolle Erkenntnis, der Prozeß von Reifung und Erwachsenwerden. Hier wird der „Arizona Dream“ fast erdrückt; zu viele Themen drängeln sich in der Handlung, zu schnell und heftig springt Kusturica zwischen Phantasien und Charakteren seiner DarstellerInnen.

Und immer wieder ist er komisch und unterhaltsam und rettet sich über die Längen seines Traumes hinweg. Zum Schluß hat er noch eine Botschaft parat: Wer die Kindheit hinter sich gelassen hat, wird wie der goldene Heilbutt beide Augen auf einer Seite tragen. Du verlierst eine Seite, aber du gewinnst auch. Silvia Plahl

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