: Alpen–Tour: Waldesfrust in einer zerstörten Idylle
■ Das Waldsterben macht auch vor den bayerischen und österreichischen Alpen nicht halt / 65 Prozent der Bäume bereits krank, der endgültige Kahlschlag droht in fünf Jahren
Aus München Martin Herbst
Eigentlich könnte es eine gemütliche Kaffeefahrt werden: Der Bus steht im strahlenden Sonnenschein am Münchner Odeonsplatz, das Fahrtziel sind die grenznahen bayerischen und österreichischen Alpen bei Garmisch–Patenkirchen, einem der beliebtesten Urlaubs– und Ausflugsorte in den Bergen. Die Zahl der jährlichen Übernachtungen in dem 30.000–Einwohner–Ort hat sich bei 2,1 Millionen eingependelt, dazu kommen noch einmal 700.000 GIs, die im „Garmisch Recreation Center“ Bergluft schnüffeln. Doch das Ziel der Exkursion ist nicht die heile Ferienwelt; der Bund Naturschutz hat zur Besichtigung des Berg–Waldsterbens geladen. Es wird eine Reise in eine kaputte Idylle. „Die Buche ist ein Schattenbaum“, sagt Dr. Helmut Klein, Biologe beim Bund Naturschutz, in das Busmikrofon. „Durch das Blattwerk darf man nicht durchschauen können.“ Doch durch die meisten Bäume an der Autobahn München–Garmisch kann man sehr wohl hindurchsehen, hinter spärlichem Blatt– und Nadelbewuchs (es sind noch zwischen 25 und 70 Prozent) werden Astgerippe erkennbar. Ein „Kopfgeld“ in Höhe von 1.000 Mark, das die „Aktion umweltschonendes Fahren e.V.“ Anfang Mai für die Meldung einer gesunden Fichte an der Autobahn aussetzte, mußte bis heute nicht bezahlt werden: „Es kamen überhaupt grausig wenige Meldungen“, weiß Helmut Klein. Sachdienliche Hinweise werden noch bis zum 1. August entgegengenommen. Erosion und Verlichtung Erster Stopp ist das Loisachtal bei Oberau, ein Ort, der Verkehrsfunk–Hörern und Alpen–Urlaubern bestens bekannt ist. Regelmäßig stauen sich hier die Blechlawinen auf dem Weg zur Zugspitze, den König–Ludwig– Schlössern und den Grenzüber gängen nach Österreich. Oberau ist die Eintrittsschneise in die schöne bayerische Märchen– Bergwelt. Aus dem, auf gut bayerisch, „brettflachen“ Loisachtal schlürft die durstige Millionenstadt München etwa 660 Liter Trinkwasser pro Sekunde. Am 5.Juli waren es zum Beispiel 370 Millionen Liter, das sind 10.000 Tanklastzüge. Doch Geschiebe und Schotter, vom Fluß ins Tal transportiert, könnten die Brunnen in einigen Jahren erreichen, verschlammen, zudecken: „Das Aus für einen Großteil der Münchner Wasserversorgung“, so Helmut Klein. Erfolglose Verjüngungskuren In den Bus sind inzwischen zwei Beamte vom Forstamt Garmisch– Patenkirchen zugestiegen. So autorisiert darf das Gefährt (23 Liter Diesel pro 100 Kilometer) ausnahmsweise den Forstweg auf den Hausberg fahren. Erstaunt treten stock– und schiebermützenbewehrte Spaziergänger auseinan der. Rund 70 Prozent der Wälder hier sind Schutzwälder - Bäume, die kaum direkt wirtschaftlich verwertet werden, sondern ökologische Aufgaben haben. Sie halten die Berghänge zusammen und regulieren den Wasserhaushalt. Zwei Drittel der Hänge im Forstamtsbezirk sind stark rutschgefährdet. 1982 wurden elf Prozent des Bergwaldbestandes als krank verzeichnet, 1986 waren es bereits 50 Prozent: „Verlichtung“, sagt der Fachmann. Blatt– und Nadelbestand bilden sich zurück, proportional dazu die Wurzeln - die Bäume haben einen schweren Stand. Auf 1.400 Meter Höhe am Hausberg versperrt dem Bus ein Langholztransporter den Weg. Anfang April hat der Wind hier Mikado gespielt. 15.000 Festmeter (d.h. „Kubikmeter“) Holz hat der Föhnsturm auf einmal umgelegt, das ist fast soviel, wie im ganzen Forstbezirk im Jahr geschlagen wird. „Wir haben erhebliche Schwierigkeiten, das Holz zu verkaufen“, erklärt einer der Forstbeamten: „Vor allem wegen des Waldschadensholzes, das billig aus der Tschechoslowakei auf den Markt kommt.“ Schließlich hat man es doch noch geschafft; aus den 130 Jahre alten Fichten vom Garmischer Hausberg werden nun Blockhäuser in Südtirol gebaut. Es folgt ein vorsichtiger Vortrag inmitten lichter Kronen, über biologische Mechanismen der Bergbäume; es hätte eine x–beliebige botanische Exkursion sein können. Den „Dreckschleudern“ aus dem Bundesgebiet, die an der Katastrophe mitschuldig seien, geben die Förster nur „mit Verlaub“ diesen Namen. Immerhin wird zugegeben, daß es um den Bergwald noch schlechter steht als ohnehin offensichtlich wird: „Tote und umgestürzte Bäume nehmen wir ja sowieso raus“, sagt ein Beamter: „Der Wald sieht so lange ganz gut aus, bis er weg ist.“ Auf der anderen Seite der Grenze zeichnet Heinz Walch, Direktor des österreichischen Forstamtes Reutte, ein ungeschminkteres Bild der Misere. Im Schnitt sind hier noch 35 Prozent der Bäume gesund, jährliche Neuerkrankungen: sieben Prozent. 35 durch sieben, rechnet Heinz Walch - das macht noch fünf Jahre. Auch die „Verjüngung“ des Waldes bietet keinen Ausweg, die Jungbäume werden vom Wild „verbissen“. Besonders Jungtannen sind Leckerbissen für hungrige Rehe, überall stehen kleine Baumkrüppel im Waldgras. In seiner Not hat Heinz Walch „Waldverjüngungsanzeige“ erstattet, ein Schritt, der im österreichischen Forstgesetz vorgesehen ist. Doch der Hilferuf landete in der Schublade - passiert ist nichts. Die Jäger sind an einem hohen Wildbestand interessiert: „Die wollen, daß, wenns inn Wald neischiaßn, auf jeden Fall a Hirsch tot umfallt“, erklärt Helmut Klein deutsche und österreichische Waidmannsmentalität. S Z E N E K A L E N D E R
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