piwik no script img

Alltag + Seife

■ Zwei Ausstellungen zeigen junge Kunst aus Großbritannien

Jeden zweiten Tag fährt eine Fähre nach London. Im Gegenzug bringt sie allerdings selten englische Künstler mit. Im Moment aber kann man sie sehen. Zum einen auf Kampnagel: Die Hammoniale zeigt einen Hauch der jungen Londoner Kunstszene, Kuratorin Noemi Smolik stellte unter dem Titel Mysterium Alltag eine Schau von fünf englischen Künstlerinnen zusammen.

Tacita Deans Auseinandersetzung mit dem Martyrium der Heiligen Agatha ist dabei unstrittig das Zentrum der Ausstellung. Angeregt durch Tiepolos Bild in der Gemäldegalerie Berlin-Dahlem, ist die 30jährige Londonerin dem brutalen Mythos um das Abreißen der Brüste nachgegangen. Schwarze und weiße Brust-Multiples referieren auf das festgeschriebene Heiligenattribut dieser Märtyrerin, die zum Lobe der Kirche ihre abgeschnittenen Brüste selbst auf einem Teller präsentiert. Weitere Zusammenhänge stellt eine Serie von kleinen Farbzeichnungen und ein großes Tryptychon aus Kreidezeichnungen auf schwarzem Karton und ein Film her. Im katholischen Raum sind übrigens drei (!) Paar Brüste als Reliquien überliefert: in Palermo, Catania und Venedig.

Vor so viel kulturgeschichtlicher Komplexität verblassen die anderen Beiträge ein wenig. Spannend ist noch Gilian Wearings Umgang mit den geheimen Gedanken ihrer Mitmenschen. Sie fordert Passanten auf, ihre Wünsche auf einen Papierbogen zu schreiben, und fotografiert sie dann damit. Noch tiefer in private Welten dringt sie in ihrem Video ein, in dem sie sie dazu animiert, hinter einer Maske eine Beichte abzulegen.

Im/pure, eine zweite, ebenfalls vom British Council geförderte Ausstellung, präsentiert drei weitere Jungstars aus London. Im Osterwalder's Art Office in der Isestraße steht auf großbürgerlichem Parkett allein im Raum auf einem hohen hölzernen Sockel eine braune Papiertüte. Versucht man nachzusehen, ob diese Pop-Plastik auch einen Inhalt hat, findet man sie voll mit Elefantendung. Chris Ofili fügt auch sonst in seine großen Gemälde diesen ungewöhnlichen Werkstoff ein und gibt seinen Arbeiten so jenes zwischen Anziehung und Abstoßung gespaltene Gefühl mit, das ihm als Engländer nigerianischer Abstammung zwischen zwei Kulturen zweifellos eigen ist.

Daneben fällt vor allem Hadrian Pigotts Arbeit auf. Er zeigt 18 Seifenschalen in Reihe an der Wand. Dabei ist jedes Waschstück beprägt mit dem Namen für einen anderen Körperteil. Wie sauber soll man sein? Wann beginnt der Zustand „Schmutzig“? Wie zynisch ist exzessive Seifenwerbung in Afrika? Nur einige Fragen, die der Künstler hinter der für ihn ganz selbstverständlichen formalen Kompetenz zwischen Pop und Minimal aufwirft.

Hadrian Pigott hat so viel mit Seife gearbeitet, das er davon krank wurde. Ganze Spülbecken hat er aus Seife gebaut und mit echten Armaturen versehen. Zur Zeit entsteht ein Film über das Abseifen eines Waschbeckens der Firma „Pontifex & Sons“: Der Name des Herstellers ist Zufall, aber der lateinische Titel des Papstes verweist doch auf eines der unbewußtesten Mysterien des Alltags: die Forderung nach Sauberkeit. Hajo Schiff

„Mysterium Alltag“, Kampnagel-K3, 18–22 Uhr, bis 11. Juni. „Young British Artists“, Osterwalder's Art Office, Isestr. 37, bis 11. Juni tägl. 14–19, dann Do + Fr 14–18, Sa 12–15 Uhr, bis 24. Juni.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen