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Archiv-Artikel

Alles hat Modellcharakter

HAUS DER STIPENDIATEN Vergrößern und verkleinern: Sparsam im Material, komplex in der Technik, so präsentieren sich junge Künstler bei Ausstellungen und offenen Ateliers im Künstlerhaus Bethanien

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Kunst, mit einer Einladungskarte Neugier auf eine Ausstellung zu wecken, ist nicht zu unterschätzen. Wenn das Künstlerhaus Bethanien einlädt, kommt meist gleich eine Handvoll Postkarten, die Ausstellungen der verschiedenen Stipendiaten, die im Haus ein Atelier haben, ankündigen. Interessant gestaltet sind sie fast immer – ob man auch zu sehen bekommt, was die Karte verspricht, ist indes nicht sicher. Manchmal markiert die Abbildung nur einen Punkt in einem Gedankengang des Künstlers.

Diesmal zogen drei Karten mich an: eine schwarz-weiße Fotografie von Bergrücken, das Bild einer Skulptur, die erstaunlich an die üppig wuchernden Formen des Jugendstils erinnerte, und die Aufnahme von dem Modell einer Bibliothek. Tatsächlich war all das in den Ausstellungen wiederzufinden und doch stets mit einem überraschenden Dreh. Dieser Dreh hatte fast immer etwas mit Verkleinerung, Vergrößerung zu tun. Und mit der Sehnsucht, an die Stelle der großen Behauptung in der Kunst einen vorsichtigeren Gestus zu setzen.

Julien Grossmann, der mit einem Stipendium aus Frankreich ins Bethanien gekommen ist, arbeitet mit visuellen und akustischen Elementen. Von ihm stammte die vermeintliche Berglandschaft, neben der sogar noch das Porträt eines gegen Sonne und Sand mit einem Tuch geschützten Mannes hing. Man denkt an Wüste, an den Film „Lawrence von Arabien“, an Reiseberichte aus dem frühen 20. Jahrhundert und liegt damit nicht ganz falsch und nicht ganz richtig. Tatsächlich handelt es sich bei den Bergen um mikroskopische Fotografien von Wachszylindern, mit denen zu Anfang des 20. Jahrhunderts Tondokumente auch für die Ethnologie gesammelt wurden. Das nebenstehende Porträt gilt dem aufnehmenden Toningenieur.

Man kann das als eine Auseinandersetzung mit der ethnologischen Forschung begreifen, allerdings weniger mit ihren konkreten Ergebnissen, eher mit dem unausgesprochenen Imaginären, das sie begleitet. Diese Aura von Abenteuer und Heroismus, sie wird von Grossmann mit großer Geste beschworen, und sackt dann in sich zusammen als ein künstliches Produkt. Man fragt sich dann aber doch, worauf Grossmann hinauswill, gerade weil die Ethnologie dieser Zeit inzwischen sehr kritisch betrachtet wird – bei Grossmann wird man nicht so ganz schlau aus seiner Haltung.

Ganz genau hinzuschauen, das erreicht Judith Schwinn mit ihren Skulpturen, die so spielerisch wie vergänglich wirken. Von fern sieht man in den Raum gespannte Bögen und Drahtschleifen mit irgendwas en miniature, das sich bei der Annäherung als eine virtuose, ja geradezu tänzerische Angelegenheit entpuppt, aus nichts anderem als ein bisschen Blatt- und Blütenresten gezaubert. Wäre es nur etwas größer und vielleicht aus Porzellan, der Kitschverdacht wäre gleich da. Aber so hat man eher Angst, einer der zahlreichen Vernissagenbesucher könnte die zarten Dinger umpusten.

Das Arbeiten en miniature ist dennoch eine gefährliche Strategie, Verniedlichung droht. Die Miniaturmodelle von Innen- und Außenräumen, von verschachtelten Türmen, leeren Straßenzügen mit Laternen, von Bibliotheken und Heizkörpern, die der kanadische Künstler Guillaume Lachapelle im Bethanien ausstellt, entziehen sich durch die sachliche Präsentation, die zurückgenommene Farbigkeit diesen Effekten der Infantilisierung gleich wieder. Er bringt Zitate des Realen in surreale Konstellationen. Die Regale einer Bibliothek bilden selbst wieder ein Buch, das erinnert an die Literatur von Umberto Eco oder Jorge Luis Borges.

Am meisten beeindruckt ein Stück Straße, das Lachapelle in einer nebligen Vitrine ausstellt, sichtbar allein durch das Licht der Modellstraßenlaternen, während außen an der Vitrine noch ein kleiner Balkon hängt. Realer und fingierter Raum sind ineinander verschachtelt, der sichtbare Raum wirkt so sauber, steril und kontrolliert, in einem Lager könnte er sein oder in einer anonymen Retortenstadt. Das Modellhafte kippt ins Bedrohliche um, irgendwann, irgendwo gibt es sie sicher schon, diese lebensfeindliche Architektur.

Neben den Ausstellungen kann man am Eröffnungsabend noch die offenen Ateliers besuchen, sehr aufgeräumt präsentiert sich die junge Küntlergeneration, mehr Laptops und Videobeamer sind zu sehen als Farbentuben. Und wo diese doch liegen, sind sie so ordentlich aufgereiht wie bei einem anderen Künstler seine T-Shirts und Hosen im Regal. Das Leben – eine Installation – aber keine chaotische.

■ Julien Grossmann, Judith Schwinn, Guillaume Lachapelle. Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10, bis 21. August, Di.–So. 14–19 Uhr