piwik no script img

Alles äußerst frisch

■ „Hmmm“, „Schmatz“ und „Iihh“ – so schmeckt der Bremer Sommer: Akrobatik und Poesie, Zauberei und Comedy à la „La Strada“ bescheren hinreißende Tage in der Bremer Innenstadt

„Du bist ein richtiges Arschloch, das bist du“: Der so beschimpfte Clown drehte sich weinend um und wischte eine Träne weg. Der kleine Junge auf dem Domshof war beharrlich und bestach durch seine Logik: „Auch wenn du weinst, bist du immer noch ein Arschloch! Und deine rote Nase mach ich dir auch kaputt!“

Der Umgang mit Kindern gehört zum Job der StraßenkünstlerInnen , und nicht allen gelingt das gleichermaßen gut. Der Zauberer Gazzo zum Besipiel hatte da eher Probleme. Mit seinem recht entschiedenen Auftreten und natürlich der englischen Sprache erreichte er nur, dass jeder angelockte Kurze sofort wieder abhaute. Oder der brillante Comedy-Quatscher Famos Bramwells aus England, der Kinder in seiner nächsten Nähe mit recht tyrannischem „Go away!“ verscheuchte: Mindestens die konnten darüber nicht lachen.

Über fünfzig Gruppen treten beim sechsten Internationalen Straßenzirkus-Festival „La Strada“ in der gesamten Innenstadt auf. Zum zweiten Mal verbindet sich das Festival mit dem vom Großmarkt veranstalteten „Internationalen Bremer Sommer“. Und das bekommt beiden bestens: Der Internationale Sommer allein war ein zwar netter Treffpunkt rund um Bremens gute Stube, aber die „Internationalität“ beschränkte sich auf wunderbare Ethno-Foods und Wein und Bier. Und den KünstlerInnen des Straßenzirkus bringen die Fress- und Saufgelage noch und nöcher Publikum. So sagen die VeranstalterInnen nach dem ersten von zwei „La Strada“-Wochenenden: „Besser kann es nicht gehen, wir sind zufrieden.“

In der Tat ist die Stimmung schon an sich mehr als gut. Kein sichtbarer Stress seitens der OrganisatorInnen – Schnelligkeit, Freundlichkeit und Flexibilität der vielen, vielen HelferInnen sichern den lustvollen Bummel durch das riesige Angebot. Da war der Kanadier Barto, der Schlangenmensch, der sich in eine winzige Tonne quetscht, sich durch einen Drahtkleiderbügel zwängt und sich so verdreht, dass die Frau neben mir nur noch „Iihh!“ lallen konnte und dann den Ort des Geschehens verließ.

Aber er kann noch viel mehr: auf dem Seil mit Fackeln jonglieren. Und dass er auch einen Ballon auf seinem Kopf mit dem Atem der Nase aufbläst, konnten viele kaum mit ansehen.

Überhaupt war poetische Artistik groß geschieben. Es kennzeichnet die Kunst der Straße, dass sie nicht einzuordnen ist, dass sie in kein Theater gehört, keinen Zirkus, keine Musikorganisation. Jeder und jede braut hier sein/ihr eigenes originelles Süppchen, und zwar derart kräftig und intensiv, dass die Aneinanderreihung in der abendlichen „Gala“ fast zu viel ist. Denn kaum ist man in eine dieser skurrilen Welten eingetaucht, ist sie auch schon wieder verschwunden.

Da ist zum Beispiel die kleine energiegeladene Martine Dufresne aus Kanada, die als Miss Take mit ihrem Puppenpartner Mr. Easy eine pralle Tanzshow vorführt und ihre Kunststücke einem Mann aus dem Publikum bis zum „grande finale“ beibringt. Oder Stevie G. und Susi Q. aus der Schweiz, die ihre Turnakrobatik so sortieren, dass er dauernd irgendwelchen Blödsinn macht und sie ihn praktisch zurückpfeift: unglaublich komisch. AkrobatInnen sind nur gut, wenn sie Geschichten erzählen, so wie Ijs en Weder aus den Niederlanden. Er möchte ein neues Fernsehprogramm vorzeigen, und aus dem Bildschirm krabbelt eine schlangenartige Frau, die ihm nun zu nahe tritt.

Alle nehmen Kontakt zum Publikum auf, auch das kennzeichnet die Straßenzirkuskunst. So der brillante Comedy-Quassler Famos Bramwells, der ein solches Feuerwerk von Ideen ablässt, dass man kaum folgen kann. Am Samstag musste er auf die vorbeiziehenden Horden der siegestrunkenen Werder-Fans reagieren, er tat es hinreißend. Und Gazzo aus den USA zaubert: mit Seil und Karten – man kann sich noch so anstrengen und wirklich nicht sehen, wie er auf einmal ein ganzes Kartenpäckchen aus seinem Mund holt oder das Seil in blitzartiger Schnelle in zwei zerteilt und wieder zurück. Gazzo verbindet seine Vorstellung mit einem gigantischen Geplappere wie auch der Fahrradartist Pat Maher aus Kanada.

Da darf natürlich die gute alte Kunst des Bänkelsangs nicht fehlen, und die war bestens vertreten durch „Mit voller Spielmannswucht“ aus Deutschland, genauer: aus Plön. „Nehmen Sie mal das Kind da weg, jetzt kommt ein fürchterlicher Ton!“ Die Lust am heimischen Platt ließen die drei so richtig aufleben. Nicht so lustig, aber dafür ein farbenprächtiges Ritual: Das Theater „Salpuri“ aus Berlin, deren sechs Mitglieder in ihren weißen Gewändern, roten Stangen, roten Ballons aus Seide und Trommeln zu einer fantastischen fernöstlichen Performance verführten, derartig mitreißend, dass dem neun Monate alten Baby, das neben mir auf dem Schoß seiner Mutter saß, schier die Augen aus dem Kopf fielen und es sich vor erregtem Mitzappeln kaum einkriegen konnte.

Viele Gruppen fahren wieder weg, viele bleiben und viele neue kommen noch. Nach einem Wochenende kann man sicher sein, dass es hier keine Flops gibt. Die Internationalität wird bestens ergänzt durch das Essen aus Israel, Frankreich oder Asien – alles schmeckt und ist äußerst frisch.

Ute Schalz-Laurenze

Der „Internationale Bremer Sommer“ dauert noch bis zum 20. August, „La Strada“ bis zum 19. August. Als besonderen ästhetischen Leckerbissen empfehlen wir für heute: die australische Stelzentheatergruppe Strange Fruit um 18.30 Uhr und 22.15 Uhr auf dem Domshof

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen