: Alles Käse mit MSZ 2-22
Tobias Schüller erzeugt auf einem Hof bei Horst Bio-Käse. Heufütterung macht Chemie überflüssig. Bakterien tonangebend ■ Von Gernot Knödler
MSZ 2-22 hat gute Arbeit geleistet. Das Milchsäure-Bakterium hat in viereinhalb Stunden 470 Liter Kuhmilch in Hüttenkäse verwandelt. Der Käser Tobias Schüller stellt das große Rührwerk ab, greift sich eine Handvoll Klümpchen, knetet sie zu einem Batzen und zerkrümelt diesen wieder. Die Kügelchen bleiben ganz. „Das bedeutet, der Bruch ist fertig“, sagt der junge Mann mit dem weißen Schiffchen, dem Fleischerhemd und der weißen Schürze. Der halbe Weg zum Käselaib ist geschafft.
Schüller hatte an diesem Morgen um sechs Uhr die Milch in den großen Zuber gelassen. Euterwarm. Er gab eine Kultur MSZ 2-22 in den Kessel und den Bakterien 80 Minuten Zeit, den Milchzucker zu vergären. Die saure Milch ließ er durch Zugabe von Lab, einem Sekret aus dem Labmagen von Kälbern, vollends gerinnen, und schließlich schnitt und rührte er die Masse mit einem großen mehrflügeligen Rechen so lange, bis sie aussah wie grobes Styropor, Hüttenkäse eben.
Die 40 Kühe, die ihre Milch dafür dran geben mussten, stehen draußen auf der Weide des Hofs Dannwisch bei Horst in Schleswig-Holstein. Dem Klischee nach dürfen sie als glücklich gelten, denn der Hof Dannwisch, eine Hofgemeinschaft aus drei Familien, widmet sich seit 1957 dem Ökologischen Landbau.
Das kleine Rotbunte Norddeutsche Niederungsvieh wird ausschließlich mit frischem Gras oder Heu ernährt, was einen Bio-Käse erst möglich macht. Ein fertiger Käse sei der Spiegel der Fütterung und einer sauberen Arbeit, behauptet Schüller.
Die Fütterung mit Gras erlaube es zum Beispiel, auf die Zugabe von Nitrat zur Milch zu verzichten, das eine unerwünschte Gärung verhindern soll. Bei Silage, das heißt vergorenem Futter, kann sich der Bauer das nicht leisten. Zu oft gelange damit Essig- und Buttersäure in die Milch, sagt Silke Scholz, die Chefin der Käseproduktion auf dem Hof Dannewisch. Der Käse kriegt dann Spätblähungen und schmeckt muffig.
Sauberes Arbeiten macht das Pasteurisieren der Milch überflüssig, so dass hinterher auch kein Kalziumchlorid beigegeben werden muss, um die Milch wieder käsetauglich zu machen. Sind zu viele Bakterien darin, kommen sie MSZ 2-22 ins Gehege, was im günstigsten Fall zu einer anderen Käsesorte führt als geplant.
Denn die Art der Bakterien, die sich der Milch widmen, entscheidet darüber, was aus ihr wird: Yoghurt, Romadur, Emmentaler oder einfach nur missratener Käse. „Ich kann an den Löchern sehen, ob meine Gasbildner die dominanten waren oder fremde“, behauptet Schüller.
Doch so weit sind wir noch nicht. Erstmal muss der Käser die Molke aus dem Zuber mit der styroporähnlichen Masse ablassen. Die Schweine seien ganz wild darauf, flicht Schüller ein, und schneidet einen 15-mal-15-Zentimeter-Batzen aus der gelben Masse. Dieser kommt in einen Plastiktopf, wo er durch mehrmaliges Auspressen und wiederholtes Wenden allmählich zu einem glatten Käselaib geformt wird, den das stille Fortwirken von MSZ 2-22 mit Gasbläschen schmücken wird.
Dazu muss der Käse reifen. Er tut das in einer Kühlkammer, in der es mäßig streng riecht. Jeder Laib muss ein längeres Salzbad nehmen, bevor er auf einem der langen Holzregale seinem Verkauf entgegenruhen darf. Bis dahin hat er es bei konstant 14 Grad Celsius und angenehmer Luftfeuchtigkeit gut: Schüller kommt öfters vorbei, die Laibe zu wenden und sie mit Salzlake zu bestreichen.
Der 34-jährige Käser hat seinen Beruf in einigen Wanderjahren erlernt. Es gebe zwar den Lehrberuf „Molkereifachmann“, berichtet er, aber da lerne man nur industrielles Arbeiten. Die handwerkliche Käseherstellung müsse sich jeder selbst irgendwo abschauen. Seine Suche führte ihn bis nach Frankreich, wo mit den Vorschriften zur Keimfreiheit von Rohmilch weitaus laxer umgegangen wird und trotzdem vorzügliche Käse entstehen.
Überhaupt haben die ganz verschiedenen Bakterienstämme, die in unterschiedlichen Ländern gedeihen, erst zu der Vielfalt unterschiedlicher Käsesorten geführt. MSZ 2-22 hat ein Heer von internationalen KollegInnen, deren Zusammenarbeit den Käse umso interessanter macht.
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