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Allegorien mit Rinderwahn

■ Jedermann für jedermann im dritten Jahr in der Speicherstadt – dezente Aktualisierung der „ernsten Komödie“ von Michael Batz

Jedermann muß sterben, dabei hat er doch soviel Geld. Der Hamburger Jedermann muß auch sterben, aber er tut dies sehr dramatisch, aktuell und aus gegebenem Anlaß an gegebener Stelle – im Hafen. Michael Batz' Bearbeitung des fünfhundert Jahre alten Stoffes um den Kaufmann, der seine Seele an den Teufel verkauft hat, läßt das Allegorienspiel mit dem fiesen Pfeffersack stattfinden, wo das Herz von Pfeffersackhausen schlüge, wenn es denn eines hätte: vor den historistischen Backsteinfassaden, im mythisierenden Nebel der Speicherstadt.

Schon im dritten Jahr zucken Jedermann (unsympathisch) und seine Jünger und Zuschauer (sympathisch) auf den harten Bänken beim schauerlichen Ruf des Todes zusammen, und die Hanseaten fühlen sich gemeint und geläutert. Der Integrationseffekt des zur Hamburgensie aufgestiegenen Stückes ist bemerkenswert: Trotz der Wetterlage wird von wachsendem Publikum berichtet, und dies soll sehr gemischt sein. „Vom Hafenarbeiter bis zum Senator“, sagt Batz, seien alle schon gesichtet worden. Um dem Erfolg gerecht zu werden, bastelt Batz alljährlich an Text und Bühne herum. So ist die Allegorie der Technologie in diesem Sommer nicht mit französischen Atomtests, sondern mit Rinderwahn und Cyber-Gear ausgestattet.

Nichts hat sich dagegen an der Besetzung der „ernsten Komödie“ (Begleitheft) geändert. Die Truppe ist dem Jedermann nicht nur treu geblieben, sondern nutzt das Ambiente dieses Jahr auch für kleine kreative Ausleger. Der „Teufel“ Erik Schäffler hat sich zusammen mit dem Cellisten Uwe Schade eine Kinder- und Erwachsenen-Geschichte um Saxophon, Cello, Löwe und Kamel ausgedacht und steht damit allsonntäglich um drei auf der Bühne. Michael Hasenfuß, ebenfalls Mitglied des Jedermann-Ensembles, hat beschlossen, seine schiefen Schrabbelballaden an – das muß jetzt einfach sein – jedermann und jedefrau zu bringen.

Das Theater N.N., eine, so Batz, „ganz junge, freie Truppe“, gastiert mit seinem Sommernachtstraum, den es bereits an windiger Stelle auf Rügen erprobt hat, zweimal in der Speicherstadt.

Ulrike Winkelmann

„Jedermann“:bis 11. August, jeden Freitag bis Sonntag, jeweils 20 Uhr (Auf dem Sande/Sandbrücke) „Ein Freund für Löwe Boltan“: bis 11. August jeweils sonntags, 15 Uhr „Schrabbelballaden“: 9. August, 23 Uhr „Ein Sommernachtstraum“: 2. und 3. August, jeweils 23 Uhr Informationen:

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