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Alle hängen am Kabel - wer zieht die Strippen?

■ Hearing der Grünen zu Telekommunikation und Postreform / Schwarz-Schilling verändert die Gesellschaft auf dem Verordnungsweg / Parlament verzichtet auf direkte Mittel-Entscheidung

Alle hängen am Kabel - wer zieht die Strippen?

Hearing der Grünen zu Telekommunikation und Postreform /

Schwarz-Schilling verändert die Gesellschaft auf dem

Verordnungsweg / Parlament verzichtet auf direkte Mittel

-Entscheidung

Von Rolf Gramm

Es stinkt nicht, es strahlt nicht, ist nicht direkt giftig und hinterläßt keine sichtbaren Müllberge. Kaum einer weiß von seiner Existenz. Trotzdem, das 200-Milliarden-Projekt ISDN, das die Deutsche Bundespost gegenwärtig einführt, hat alle Merkmale einer unkontrollierbaren Großtechnologie. Unübersehbar sind die Auswirkungen, die auf die Gesellschaft zukommen. Bei der öffentlichen Anhörung zu „Telekommunikationspolitik, ISDN und Umstrukturierung der Bundespost“, das die Grünen am Samstag in Bonn durchführten, war sich die nach wie vor recht kleine Gemeinde derer, die sich kritisch mit den Entwicklungen im Telekommunikationsbereich beschäftigen, einig über das Gefahrenpotential der neuen Post-Technologie.

Die Auswirkungen der informationstechnischen Entwicklung werden nach Auffassung des medienpolitischen Sprechers der Grünen, Uli Briefs, vor allem in der Arbeitswelt spürbar werden. Dabei befinde man man sich gegenwärtig noch „in der Kindheit“ der Informatisierung. Absehbar sei aber nicht nur, daß Computertechniken in immer mehr Bereichen angewandt werden, sondern auch, daß Arbeitsplätze, Abteilungen, Betriebe zunehmend miteinander vernetzt werden. Vielleicht am auffälligsten aber sind die wachsenden Möglichkeiten, das Arbeitsverhalten bis ins Detail zu kontrollieren.

Fernarbeit, Fernmessen und - wirken, Telebanking und Teleshopping sind einige der Stichworte, an denen Bedenken gegen die neuen Dienste ausgedrückt werden. Der Trierer Betriebswirtschaftsprofessor Herbert Kubicek wies insbesondere darauf hin, daß für einen großen Teil der sozialen Veränderungen, die die Durchsetzung des ISDN mit sich bringen würde, keinerlei Regelungen vorhanden sind. Angesichts der unvorstellbaren Komplexität von Nachrichtenströmen, die da unterstützt, gesteuert, protokolliert werden sollen, angesichts neuer Arbeitsteilungen zwischen den Betrieben, so erklärte Kubicek, „gibt es nicht einmal Vorstellungen, wie eine geeignete überbetriebliche Mitbestimmung aussehen könnte“. Obwohl die Entscheidung über die Digitalisierung des Fernsprechnetzes einen Betrag in Höhe von einem Viertel des Bundeshaushalts verplant, wurde darüber in keinem parlamentarischen Gremium entschieden. Die Entscheidung für das Großprojekt ISDN basiert vielmehr auf Verordnungen des Postministers. Früher oder später könnte die Frage, ob ein solches Vorgehen statthaft ist, noch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.

Bedenken mit dem ISDN formulierten am Samstag auch zahlreiche anwesende Datenschützer. Problematisch sind für sie schon die einfachsten neuen Möglichkeiten, die sich mit dem ISDN-Telefon ergeben. Neben dem geplanten Einzelgebührennachweis, bei dem keiner mehr eine Kontrolle darüber hat, in welchen Listen und für welche Zwecke seine Rufnummer gespeichert wird, berührt es auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ob ein Anrufer mittels seiner Telefonnummer, die auf einem Display auf dem Telefonapperat erscheint, sofort identifiziert werden kann. Neben diesen „Kleinigkeiten“ ist mit der Einführung digitalisierter Vermittlung und Übertragung den Begehrlichkeiten eines überwachungsgeilen Staatsapparats Tür und Tor geöffnet. Übereinstimmend wurde von den Datenschutzexperten kritisiert, daß sie von der Gestaltung der ISDN-Netze ausgeschlossen sind und lediglich für gewisse Nachbesserungen eingesetzt würden.

Allerdings gibt es, auch das wurde am Samstag deutlich, auch Gegentendenzen. Über eine erste erfolgreiche Klage eines Betriebsrats gegen die Einführung einer ISDN -tauglichen HICOM-Anlage berichtete der Betriebsratsvorsitzende der „Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung“ Birlinghofen. Durch Einschaltung des Arbeitsgerichts und der Einigungsstelle war es dem Betriebsrat im April gelungen, in einer Betriebsvereinbarung die für die Beschäftigten gefährlichsten Funktionen der neuen Anlage auszuschalten, etwa die unangekündigte Einschaltung des Telefonmikrophons. Zudem, darauf wies vor allem Herbert Kubicek hin, kann man bei der Einführung des ISDN keineswegs von einem einheitlichen Interessenblock der Industrie ausgehen. So sei etwa die ursprünglich ISDN -euphorische Branche der Endgerätehersteller, die zunächst damit rechnete, in relativ kurzer Zeit in den Markt der Privathaushalte einzudringen, nach dem Flop mit Bildschirmtext (BTX) sichtlich skeptischer geworden. Auch der Bereich der möglichen Anwender der ISDN-Dienste äußere zunehmend Zweifel, ob für seine Zwecke ein computergesteuertes öffentliches Fernsprechnetz geeignet ist. „Vieles deutet darauf hin“, so Kubicek, „daß die Zukunft des ISDN in den letzten zwei Jahren immer fragwürdiger geworden ist.“

Im Gegensatz zur Postgewerkschaft wurde von den Grünen stets der Zusammenhang zwischen den Veränderungen des Post -Netzes und der von Minister Schwarz- Schilling anvisierten Aufteilung der Post betont. Dabei wurde vor allem darauf verwiesen, daß erst durch die neuen Netze die Liberalisierung des Markts für Fernmeldedienste für die Industrie richtig interessant wird. Zudem könnten durch die Erschwerung der Quersubventionierung zwischen den verschiedenne Post-Bereichen die Gewinne aus dem Telefondienst weitgehend exklusiv für den Aufbau des ISDN zur Verfügung gestellt werden. Und schließlich könnten durch die Privatisierung von Fernmeldediensten auch Datenschutzbestimmungen leichter umgangen werden. Vorgeschoben muß es jedenfalls erscheinen, wenn der Hauptvorstand der Postgewerkschaft, der ständig die Notwendigkeit eines breiten Bündnisses gegen die Deregulierung der Bundespost betont, die Teilnahme an der Anhörung mit dem Argument ablehnte, daß in der Konferenz -Agenda die technologiepolitische Komponente überrepräsentiert sei gegenüber der Frage der Deregulierung der Post. Hier hilft ein gutes Gedächtnis bei der Entdeckung des wirklichen Absage-Motivs: Es war die Postgewerkschaft, die im Gegensatz etwa zu IG Druck und ÖTV selber die Schaffung des ISDN gefordert hatte.

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