: Alle Frauen haben gewonnen
■ betr.: „Jetzt können alle Männer ihre Frauen schlagen“ (Erika Munk), „Feministische Augen binde“ (Andrea Böhm), taz vom 9. 10. 95
[...] Alle Frauen haben gewonnen (liebe Erika Munk), wenn Mark Fuhrman und Konsorten nach diesem Prozeß als offenkundiges Problem der Polizei und ihre Autorität erkannt sind; wenn sie blamiert und im wahrsten Sinne des Wortes die Verlierer dieses Prozesses sind. Denn eine wesentliche Voraussetzung für die gewissenhafte Verfolgung von Männergewalt gegen Frauen ist eine gewissenhafte, korrekte Polizeiarbeit.
Von einer gewissenhaften, korrekten Polizeiarbeit konnte man übrigens vor einigen Jahren auch nicht ausgehen, als der edle weiße Ritter der Minimal Art, der Künstler Carl Andre den Gerichtssaal ebenfalls als freier Mann verließ, nachdem er mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Frau – nach vielfältig bezeugten Mißhandlungen – aus dem Fenster zu Tode gestürzt hatte. Man nannte das dann Ungereimtheiten. Diesen Ungereimtheiten bei der Polizeiarbeit nachzugehen ist der Beginn einer erfolgreichen Arbeit gegen die Männergewalt gegen Frauen. Wenn nun diese Ungereimtheiten in einem spektakulären Prozeß ebenso spektakulär herausgestellt werden, dann ist das durchaus den (juristisch folgerichtigen, wenngleich in Hinblick auf die Tat fragwürdigen) Freispruch wert. Denn anders als noch bei Carl Andre steht die Polizei als der große Versager da, als Zerstörer einer erfolgreichen Justizarbeit, und die Chance, daß sie sich und ihre Arbeit reformieren muß, ist gewachsen. Das sollte die Situation derjenigen, die sich – ob als evidente Opfer oder mögliche Täter – mit der Polizei konfrontiert sehen, verbessern. Paul Müller, Berlin
Es ist möglich, sicher sogar wahrscheinlich und wahr, daß statistisch gesehen – wie Erika Munk betont – Frauen von ihren Männern ermordet werden, und sicher ist es auch richtig, daß Frauen höhere Strafen erwartet bei Ermordung ihrer Männer. Ich finde es trotzdem unzulässig in dem besonderen Fall des O. J. Simpson den Schluß zu ziehen, daß ein Mann, der seine Frau schlägt, sie auch gleichsam bestialisch ermordet.
Wer den Prozeß verfolgt hat, der konnte in der Tat zwei wesentliche Dinge feststellen: daß nämlich die polizeilich erbrachten sogenannten Beweise keine waren! (Auch wenn Erika Munk betont, daß keine anderen Täter ermittelt worden wären. Was noch lange nicht heißt, daß es sie nicht doch gibt! Alternativtäter werden nur dann gesucht, wenn die Polizei oder Staatsschutz es wollen!) Und daß die Ermittlungen von einem Rassisten geführt wurden, und das spielt in der Tat immer eine wesentliche Rolle jenseits des Geschlechts! Zumal es in den USA gesellschaftlichen Rassismus gerade gegen Schwarze gibt, und das nicht nur gegen schwarze Frauen.
Auch wenn es mir als Feministin nicht gefällt, daß Frauen noch immer als Freiwild angesehen werden, auch in der Justiz, aber das Geschlecht in den Vordergrund stellen, obwohl eindeutig Rassismus gegen Schwarz im Spiel ist, finde ich unzulässig. Feminismus und Frauenliebe darf nicht zu undifferenziertem Denken und Handeln führen. [...] Und Simpson zum Vorwurf zu machen, daß er alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft hat zu seiner Verteidigung, ist in meinen Augen auch eine Form von Rassismus und dumm.
Daß es Klassenjustiz gibt, auch in Deutschland, ist unbestritten. Trotzdem darf daraus nicht werden: „Weil du reich bist, gehörst du auf den elektrischen Stuhl“. Denn das wäre die Konsequenz eines Schuldspruches, der so eindeutig gar nicht hätte sein können, wie Frau Munk sich das wünscht. Auch bei uns gilt: „Im Zweifel für den Angeklagten – die Angeklagte“, was selten genug praktiziert wird. Marianne Nicolaus, Berlin
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