: All die Ungeheuerlichkeiten
Vom Schnupfen in der zweiten Moderne: Die Journalistin Elisabeth von Thadden hat ihre Mutterkolumnen zu einem feinen, lustigen Buch zusammengefasst – „Familiäre Gründe“
von ANGELIKA OHLAND
Den Müttern wird ja manches nachgesagt, sogar Gutes, nur eins kommt doch zu kurz: dass es nämlich die Mütter waren, die den Humor erfanden. Diesen Schluss jedenfalls legen die 52 Kolumnen, die die Journalistin Elisabeth von Thadden erst für die Berliner Zeitung geschrieben und nun als Buch vorgelegt hat, sehr nahe. Wobei die Autorin den Verdacht gar nicht erst von sich zu weisen versucht, dass diesem Überschuss an Lustigem viele, viele Ereignisse vorausgegangen sind, die sie mangels diesbezüglicher Verwertbarkeit besser für sich behält. „Im Leben mit Kleinkindern gilt: Alle zwei, drei Tage fällt eine echte Pointe ab. Der Rest aber sind Sandkasten, Trösten und Zerkleinern von Möhren.“
Aber wir wollen nicht traurig sein. Und deshalb lachen wir lieber darüber, wenn der Grießbrei beim Abendessen unter dem Küchentisch einen schleimigen See bildet oder das Überqueren einer Straße mit Kleinkind an der einen, Kinderwagen in der anderen Hand so spannend ist wie die Crashtests bei James Bond. Dieser Humor hat viel von jener Überlebensstrategie, die uns sonst von extrem bedrängten Minderheiten bekannt ist. Ein fester Wille zur Selbstbehauptung spricht aus ihm – und die absolute Unfähigkeit, dies auf Kosten anderer zu tun. Der Humor, das Praktische und das Soziale – hätten Feministinnen, unter denen ja immer noch bemerkenswert wenige Mütter sind, sich beizeiten etwas ausgiebiger mit diesen Basics des Lebens befasst, sie stünden heute nicht so abseits da.
Aber wer aus dieser feinen Sammlung nur die Anekdoten herausliest, dem entgeht doch Wesentliches über dieses merkwürdig widerständige Gebilde namens Familie. Denn Elisabeth von Thadden ist vor allem eine bemerkenswerte Soziologin. Ihre Studien betreibt sie in Kindergärten und im Supermarkt, beim Mittagkochen und auf dem Spielplatz, beim Überqueren eines Zebrastreifens und im Park, wo sie bei Regenwetter in alten, gelben Gummistiefeln umherstreift und sich vorstellt, wie die wasserscheue Mehrheit gerade in ihren Etagenwohnungen den Kleinkindkoller kriegt. Geschichten „vom Schnupfen in der Zweiten Moderne“, von der Banalität der Fürsorglichkeit, von der Mutterliebe in den Zeiten der Neuen Mitte: Immer nimmt von Thadden neben der mütterlichen auch die Perspektive des Kindes ein – und so zerrinnen sie wie nichts, unsere hübschen, wohlfeilen Begriffe, mit denen wir die Wirklichkeit so gerne umkreisen, ohne sie berühren zu müssen.
Nein, von Thadden zeigt nicht einfach mit dem Finger auf die Gesellschaft, die Männer, die Verhältnisse, wenn sie ihrer Wut mal Lauf lässt. Mit Vorliebe popelt sie in jenen vielen kleinen Ungeheuerlichkeiten herum, welche die elterliche Verzagtheit gebiert. Denn wenn Kinder in diesem Land wohl noch nie so behütet waren wie heute – so unfrei waren sie auch nie zuvor. Klettern ohne die beschützende Hand eines Erwachsenen, schlecken ohne die Androhung lebenslanger Karies, einander ärgern, ohne dass gleich die Elternpolizei gerannt käme – das gibt es wohl nur noch in jenen sozialen Verhältnissen, die als verwahrlost gelten.
Besonders gerührt hat mich übrigens die Geschichte einer alten Dame, einer Bürgersfrau, die nie „gearbeitet“ hat und immer „nur zu Hause“ war. „Das Einkommen des Mannes reichte nicht für zwei Urlaubsreisen im Jahr, nicht für Skier in allen Größen, aber für Brot und Aufschnitt am Abend, Fleisch am Sonntag, Bücher, ein Klavier, einen Computer. Auf den hundertvierzig Quadratmetern der Wohnung haben nie weniger als sechs Menschen gelebt, irgendein Adoptivkind kam immer dazu, und sechs Stühle am Tisch haben selten gereicht. Sie hat sich nie gegen Erwerbsarbeit und fürs Private entschieden, sagt sie heute, sondern für soziale Lebensqualität im städtischen Raum.“ Klingt gut, irgendwie. Und viel zu weit weg, als dass man diese freundliche, selbstbewusste Bürgersfrau ernsthaft zum Vorbild nähme – solch klare Rollentrennung, die kriegte heute wohl keine mehr hin.
Doch in einem ist sie den Müttern, die von Thadden beschreibt, gar nicht mal so fern: Sie alle sind, auf eine etwas verquere Art, einverstanden mit ihrem Leben – Komplikationen und sogar die Männer inklusive.
Elisabeth von Thadden: „Familiäre Gründe“. Berlin Verlag, Berlin 2000, 176 Seiten, 29,80 DM
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