Alina Schwermer Away: Baku, so türkisch wie Österreich deutsch
Es hat keinen Tag gedauert, bis Baku mich eingenommen hat: mit der großzügigen Liebenswürdigkeit, Widersprüchlichkeit und Lebenslust, wie sie gerade schwierige Orte in schwierigen Ländern haben. Ich hatte nicht viel erwartet. Eine Stadt gebaut auf Öl- und Gasreichtümern. Irrwitzige Autokraten-Bauprojekte. Die gibt es. Daneben aber liegt eine lebendige Stadt, zutiefst gastfreundlich, temperamentvoll, mit großen sozialen Gegensätzen und mit allerlei schweren Päckchen unter der Oberfläche, in der sich Kulturen wild vermengen. Der sowjetische Einfluss mit Plattenbauten, Rund-um-die-Uhr-Blumenläden, Dill und Werbung für russische Kinderserien. Die kaukasischen hölzernen Balkone, elegante Altbauten, Restaurants in Gewölbekellern, Weinreben. Die gefühlte Zugehörigkeit ist die zur Türkei, kulturell und sprachlich. Die endlosen Shopping-Meilen und vollen Bars in der Innenstadt vermitteln internationales Flair. Und zuletzt ist da der Protz von Öl-Metropolen. Manche Städte gehen kaputt an der Kompliziertheit der Politik, die sie umgibt. Und manchen gibt das erst recht eine Lebendigkeit.
Ich wohne im Billig-Hostel Punjab, das von einem Geschwisterpaar aus selbigem geführt wird. Auch das Punjab ist kurios. Ein Altbau mit Stuck und verschwenderischen Kronleuchtern, gleichzeitig etwas verlebt. Hinter meinem Bett liegen Zigarettenkippen und eine Damenbinde; es hat wohl länger niemand druntergeguckt. Durchs kaputte Fenster, mit Plastikfolie abgeklebt, strömen abends die Mücken. Es ist ein Ort, an dem gelebt wird, die Familie wohnt hier. Einziges Gegenargument ist der Lärm bis tief in die Nacht im Hinterhof. Der junge Mann ist von Herzen bemüht. Tagsüber bringt er kannenweise Tee. Er sei nach Baku gekommen, um etwas aufzubauen, sagt er. Davor hat er in England gelebt und lernte dort Fußball lieben. Die EM verfolgt er ständig, ins Stadion wird er auch gehen, inschallah. Und dass er die Deutschen mag, hat einen sehr einleuchtenden Grund: „Weil ich sie immer bei Fifa spiele.“
Selten wurde ich von so vielen interessierten Menschen angesprochen wie in Baku. Russisch zieht immer noch. Viele wollen helfen, einige belästigen, einige wollen wissen, was ich hier tue. Ein Kioskverkäufer schenkt einen Smoothie und will etwas über Europa hören. Gleichzeitig hängt der Nationalismus schwer über der Stadt: Die Häuser sind mit Nationalflaggen geschmückt, weit mehr, als sympathisch wäre. Martialische Kriegsplakate rühmen den Kampf um Bergkarabach. Es sei darum gegangen, „unsere Ehre zu verteidigen“, findet der Kioskverkäufer. Und neben diesen Nationalflaggen hängen türkische Fahnen. Ein alter Restaurantbesitzer, bei dem ich esse, erklärt überzeugt: „Wir sind Türken.“ Auf meine etwas irritierte Rückfrage präzisiert er: „Wir sind ein Volk. Wie die Deutschen und die Österreicher.“ Ich verzichte darauf, detaillierter auf diese Beziehung einzugehen – oder seine Geschichtsdeutung infrage zu stellen. Wenn das türkische Team am Mittwoch in Baku spielt, wird es jedenfalls ein Heimspiel haben.
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