: Algeriens Bastion in Paris
Der Rektor der Moschee in Paris ist zugleich Mitglied des Hohen Staatsrats in Algier/ Französische Moslems protestieren ■ Aus Paris Bettina Kaps
Freitag mittag vor der Großen Moschee von Paris. An den Straßenkreuzungen fahren Schutzpolizisten auf. Kein Muezzin ruft, und doch strömen die Menschen zu dem traditionellen Freitagsgebet. Eine politische Predigt wird sie hier nicht aufwühlen, das garantiert ihnen der algerische Rektor der Moschee, Tedjini Haddam. In Algerien zielen zur gleichen Zeit Maschinenpistolen auf die Gläubigen.
Wie mag Rektor Haddam die Ruhe in seinem Gotteshaus empfinden? Erstmals seit dem Putsch in Algerien hielt er sich am vergangenen Wochenende wieder bei seiner Gemeinde in Paris auf. Seit dem 14. Januar gehört der Moscheerektor auch dem neuen fünfköpfigen Führungsgremium in Algerien an, dem „Hohen Staatsrat“, der die Islamische Heilsfront (FIS) um ihren sicheren Wahlsieg brachte. In Paris blieb er diesmal nur einen Tag. Sein Anliegen: klarstellen, daß die Moschee weiter unter seiner Kontrolle bleibe.
In Frankreich erregte das Festhalten Haddams an dem religiösen Amt den Unmut vieler Moslems. In Algerien hingegen scheint der Moscheerektor vorerst unverzichtbar zu sein. Möglicherweise soll er dort zwischen Fundamentalisten und Militärs vermitteln. Dazu scheint er nicht nur wegen seiner Funktion in der größten Exilgemeinde geeignet, sondern auch, weil einer seiner Neffen Mitglied der FIS ist und bei dem ersten Wahlgang im Dezember einen Parlamentssitz gewann.
Die Moscheegänger in Paris hat das Verhalten des Rektors nicht überrascht. „Natürlich ist die Mehrheit der Algerier in Frankreich für den demokratischen Prozeß und sympathisiert mit der FIS“, erklärt ein marokkanischer Universitätsdozent die Widerstände gegen Haddam. „Doch wir wußten schon vor dem Putsch, daß der Typ zu den Machthabern gehört. Seine Abreise hat das nur bestätigt.“
Ein alter Kabyle in Paris glaubt, die Moschee gehöre Algerien. Sein Heimatland habe das Gelände im 5.Arrondissement von Paris gekauft, beteuert er. Der politische Konflikt in Algerien beschäftigt den alten Mann weniger als die Schlachten, in denen er für die Kolonialmacht sein Leben riskiert hat. Daß der französische Staat „la grande mosque“ vor 70 Jahren für Leute wie ihn errichtet hat, für moslemische Soldaten unter französischer Fahne (in erster Linie jedoch für gefallene moslemische Soldaten), das kommt ihm nicht in den Sinn.
Damals, als in Frankreich kaum Moslems lebten, bewies Paris seinen moslemischen Kolonien huldvoll Sympathie. Heute hingegen, nachdem drei bis vier Millionen Moslems den Islam in Frankreich zur zweitstärksten Religion gemacht haben, will sich kein Bürgermeister mehr mit einer Baugenehmigung für eine Moschee unbeliebt machen. Allein in den 70er Jahren sind in Frankreich rund 600 Gebetsräume entstanden. Viele davon mußten notdürftig in Wohnungen oder Garagen eingerichtet werden, berichtet der Islamwissenschaftler Gilles Kepel, Autor des Buches Die Vorstädte des Islams. Die prächtige Pariser Moschee jedoch, oft als „Symbol für den Islam in Frankreich“ bezeichnet, habe die neue Religiösität der Immigranten und die Zunahme der französischen Moslems verpaßt.
Schuld daran ist das politische Tauziehen um die Moschee, das zur algerischen Vormundschaft geführt hat. Seit 1922 wird das „Moslemische Institut der Pariser Moschee“ von einer „Gesellschaft für religiöse Güter und Orte des Islam“ (Société des Habous) verwaltet. Die offizielle Bezeichnung als „Moslemisches Institut“ ist eine juristische Fiktion. Sie erlaubt es dem französischen Staat, der sich aufgrund der strengen laizistischen Gesetze aus Kirchenangelegenheiten heraushalten muß, die Moschee zu subventionieren. Eine Ausbildungsstätte für Imame gibt es an der Moschee nicht — zum Bedauern vieler liberaler Moslems. Bis heute werden alle Religionsgelehrten aus arabischen Ländern geholt. Das jüngst eröffnete „Islamische Institut“ in Zentralfrankreich will diese Lücke schließen.
Die „Société des Habous“ bestimmt seit jeher den Rektor der Pariser Moschee. Vor der Unabhängigkeit war Algier Sitz der Gesellschaft; daraus leitet Algerien seinen Anspruch auf Führung der Moschee ab. Nach jahrzehntelangem juristischem und politischem Gerangel überließ der Präsident der „Société des Habous“ 1982 der algerischen Regierung endgültig das Sagen in seiner Gesellschaft und damit über die Moschee. Über regierungsfreundliche Imame versuchte die ehemalige Staatspartei FLN, ihre ausgewanderten Landsleute zu kontrollieren und islamistische Einflüsse fernzuhalten. Aus Algier wurde daher vor vier Jahren Rektor Haddam eingeflogen, altes FLN-Mitglied, von 1964 bis 1970 Religions- und Gesundheitsminister, später Botschafter — weshalb die Große Moschee auch als „zweite algerische Botschaft in Paris“ bezeichnet wird.
In Frankreich wirkte der Diplomat und Politiker bei der Gründung des CORIF mit, eines „Komitees zur Reflexion über den Islam in Frankreich“, in dem verschiedene moslemische Gruppen vertreten sind. Da der Islam nicht hierarchisch organisiert ist, wollte sich der damalige Innenminister Joxe, in dessen Ressort die Religionen fallen, mit dem 15köpfigen „Rat der Weisen“ endlich einen Gesprächspartner schaffen für die Belange der Moslems in Frankreich. Haddams Beteiligung am Staatsstreich löste im CORIF eine Revolte aus: Endlich sahen die Gegner des einflußreichen Rektors eine Gelegenheit, die Pariser Moschee aus der algerischen Umklammerung zu lösen: Der Status der Großen Moschee, bislang eine private Einrichtung, müsse geändert, die Trennung von Kirche und Staat garantiert werden. Interesse am Rektorenamt meldete der zum Islam konvertierte Franzose Jacques Yacoub Roty an.
Doch so leicht lassen sich Haddam und die algerische Führung nicht ausmanövrieren. Der Maghrebstaat mißtraut den französischen Moslems; Algier fürchtet, sie könnten die Große Moschee in den Einfluß der Islamisten geraten lassen — bei diesem Gedanken dürften auch Innenminister Marchand die Haare zu Berge stehen. Bei seinem Kurzbesuch am vergangenen Wochenende stellte Haddam klar, daß er eher aus der algerischen Führungsclique ausscheiden werde als aus dem Rektorenamt. Ohne massiven Druck der französischen Regierung können die französischen Moslems in der Pariser Moschee nicht das Sagen erhalten.
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