: Algerien: Ausländer unter Beschuß
■ Vermutlich militante Islamisten erschossen eine Russin und einen Spanier / Europäer fliehen in die Weihnachtsferien
Algier/Berlin (AFP/taz) – Larissa Ayadi war gerade beim morgendlichen Einkauf, als sie am Sonntag auf dem Markt von Diar al-Afia, einem Vorort von Algier, zwei Kugeln trafen, eine in die Brust und eine in den Kopf. Die 30jährige mit einem Algerier verheiratete Russin starb wenig später in einem Militärkrankenhaus der algerischen Hauptstadt. Von dem Täter, der laut Augenzeugen eine Pistole mit Schalldämpfer benutzte, fehlt jede Spur.
Der Mord an der Russin war der dritte Anschlag gegen Ausländer in Algerien, seit am 30. November ein von militanten Islamisten gestelltes Ultimatum auslief, wonach alle Ausländer das Land verlassen sollen. Am Freitag war ein Spanier erschossen, am Samstag ein Italiener durch Schüsse schwer verletzt worden. Wenige Stunden nach dem Anschlag auf Ayadi nahmen Unbekannte einen Bus unter Maschinengewehrfeuer, der normalerweise russische Militärberater transportiert. Der algerische Fahrer des ansonsten leeren Fahrzeuges wurde leicht verletzt.
Das Ultimatum war Ende November durch drei von Islamisten entführte Franzosen übermittelt worden. Nach ihrer Freilassung übergaben sie einen Brief, den die algerischen Behörden der „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ (Dschamaa al-Islamiya al-Mussallaha) zuschreiben. Gemeinsam mit der „Bewaffneten Islamischen Bewegung“ (Haraka al-Islamiya al- Mussallaha) gilt die Gruppe als militärischer Arm der Islamischen Heilsfront (FIS). Die FIS war im Dezember 1991 verboten worden, nachdem sie den ersten Wahlgang der ersten freien algerischen Wahlen für sich entschieden hatte. Seitdem steht Algerien unter Außnahmezustand.
Die letzte Anschlagsserie löste unter den in Algerien lebenden Ausländern Panik aus. Viele nutzen das bevorstehende Weihnachtsfest, um das Land zu verlassen. Nach Angaben des italienischen Außenministeriums war am Wochenende bereits rund die Hälfte der in Algerien lebenden Italiener ausgereist. Die Anschläge treffen auch die algerische Wirtschaft schwer. 65 Prozent seiner Geschäfte wickelt der algerische Staat mit jenen Ländern ab, deren Bürger auf den „Abschußlisten“ der Islamisten stehen.
FIS-Führer, wie der nach Deutschland geflohene Rabah Kebir bestreiten, daß ihre Organisation etwas mit Anschlägen gegen Ausländer zu tun hat. Vor der jüngsten Anschlagsserie behauptete Kebir, Morde an Ausländern seien von der algerischen Führung inszeniert, um die FIS als terroristisch zu brandmarken. Gegen diese Version spricht ein von dem Informationsbeauftragten des provisorischen nationalen Exekutivbüros der FIS, Abdel Rasak Redscham, unterschriebener Brief vom 14. November. Darin droht er allen „die mit dem (algerischen) Regime“ zusammenarbeiten“ mit Konsequenzen. Beobachter in Algier vermuten, daß die FIS-Führung, die sich zu einem nicht unerheblichen Teil ins Ausland abgesetzt hat oder in algerischen Gefängnissen schmachtet, die Kontrolle über die Gliederungen der Organisation verloren hat.
Menschenrechtsorganisationen beklagen, bei der Sorge um Ausländer in Algerien würde übersehen, daß die algerische Führung systematisch als Islamisten verdächtige Algerier verfolge, foltere und ermorde. Nach inoffiziellen Angaben wurden in dem Land seit Verhängung des Ausnahmezustands 2.100 Personen getötet.
Die algerische Führung teilte am Wochenende mit, bei Razzien gegen Islamisten seien am Freitag 17 Verdächtige getötet worden. Gestern erschossen darauf vermutlich Islamisten in der Küstenstadt Oran den Richter Rouas Lakhdar. taud
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