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Alexandra Hilpert ZockerzeckeErnste Videospiele in ernsthaft langweilig

Foto: Josepha Stein

Mein Bruder ist verschwunden. Auf dem Weg in sein Zimmer im Dachgeschoss höre ich, wie meine Eltern mit der Polizei sprechen. Dann wird es still. Die Wände in Leons Zimmer sind mit Plakaten gepflastert, die meisten von der „atavistischen Aktion“. Auf der Couch sammelt sich dreckige Wäsche. Über seinem Bett: eine umgedrehte Deutschlandfahne.

In dem Videospiel „Leons Identität“ muss man herausfinden, warum der Bruder nach rechts gedriftet und wohin er verschwunden ist. Die Logos der fiktionalen „atavistischen Aktion“ erinnern an die der leider sehr realen rechtsextremen Identitären Bewegung. Das Land Nordrhein-Westfalen hat das Game zusammen mit dem Verfassungsschutz entwickelt und 2020 veröffentlicht, um junge Menschen über rechtsextreme Bewegungen aufzuklären.

Die Idee ist eigentlich cool. Aber die Umsetzung? Na ja. Ich fühle mich unterfordert. Es gibt kein einziges richtiges Rätsel, keine Denkaufgaben, und die nächsten Schritte sagt mir die Stimme meines Charakters (der konstant Selbstgespräche führt?) einfach vor: „icH kÖNnte mAL scHAUeN, oB IcH iN leONs coMPutER etWAs fINde …“ Ja, ach was, Jonas. Die Intonation der Stimme aus dem Off klingt dazu noch wie eine schlechte Filmsynchro.

Politische Aufklärung per Videospiel ist sinnvoll. Das findet wohl auch der Medienminister von NRW, Nathanael Liminski von der CDU. Nun soll nämlich das zweite Spiel zusammen mit dem Verfassungsschutz entwickelt werden, kündigte Liminski beim Games-Gipfel in Köln an. Statt um Rechtsextremismus wird es um islamistische Propaganda gehen. Eine Million Euro will das Land investieren.

Spiele, die bilden wollen, fasst man unter „Serious Gaming“ zusammen. Ob ein Game „serious“ ist oder nicht, ist schwer zu sagen. Ein Beispiel ist „Zoo Tycoon“. Ich habe in den Jahren, als ich passioniert virtuelle Zoos verwaltet habe, viel über Tiere gelernt: Wie sehen Okapis aus? Bengalische Tiger können schwimmen?! Und in welchem Geländetyp leben Einhörner? Klar können Videospiele nur vereinfachte Ausschnitte der Realität abbilden. Das habe ich als Kind schon gecheckt.

Ein politischeres Beispiel ist „Half Earth Socialism“. Darin ist man Teil einer Weltregierung und hat 60 Jahre Zeit, die Welt vor der Klimakrise zu retten. Mit dem Status quo von 2022 muss man es schaffen, die Artendiversität zu retten, Pandemien abzuwehren, die Stromgewinnung und die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu sichern. „Half Earth Socialism“ ist komplex und anspruchsvoll und bringt genau deswegen Spaß.

Damit Menschen Bock auf „serious“ Games haben, müssen diese mehr bieten als Bildung in interaktiver Videospielform – sie müssen unterhalten. Und keine Sorge, NRW, dafür braucht es nicht mal eine millionenteure Grafik. Um junge Menschen davon abzuhalten, rechtsextremistisch oder islamistisch zu werden, braucht es vor allem zwei Dinge: gute Rätsel – und normale Synchronstimmen.

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