■ Stadtmitte: Alex: Ein Ort ohne Orientierung
„Den Tiger reiten“ wollte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer, als er mit den Investoren um die Bebauung des Potsdamer Platzes stritt. Aus der Dressur gingen Sony und Daimler als Sieger hervor, der eine mit einer miserablen, der andere mit einer passablen Architektur, die allerdings nun peu à peu ihrer Qualitäten beraubt wird. Um die künftige Gestalt des Alexanderplatzes zu finden, wählte Hassemer, klüger geworden, nicht mehr den Weg der Konfrontation, sondern den der Einbindung. Das Auftreten der Investoren als Juroren ließ die Dichotomie von öffentlichen, an der Stadtverträglichkeit orientierten, und privaten, an der Verwertung ausgerichteten, Interessen im Wettbewerbsverfahren kaum mehr in Erscheinung treten.
Ein „Platz der Bürger“ sollte es werden, doch denen war bei der Gestaltung lediglich die Rolle des nachvollziehenden Betrachters zugedacht. „Die Stadt und die Politik müssen an einem Ort wie dem Alexanderplatz die Strukturen vorgeben.“ Dieser Maxime des Chefplaners von Manhattan, Richard Weinstein, wurde nicht gefolgt, seit vergangenem Freitag kann betrachtet werden, was dabei herausgekommen ist.
Das Ergebnis des Wettbewerbs ist ein Kompromiß, doch muß es deshalb gleich ein so schlechter sein? Die wesentliche stadtplanerische Qualität, die Kollhoffs Kuben zugeschrieben werden kann, erschließt sich aus der Fernsicht einer Hochhaussilhouette, die dem Fernsehturm seine maßstabslose Dominanz nimmt. Doch wurde damit ein Bauwerk zum Bezugspunkt, dessen Existenz auf Dauer nicht gewiß ist. Für seinen Abriß spricht seit Freitag vielmehr, daß mit ihm ein sinnvoller Übergang von der Hochhausagglomeration am Alexanderplatz zu der klassischen Struktur der Spreeinsel kaum mehr vorstellbar ist. Der Alexanderplatz wird in dem favorisierten Entwurf als städtisches Zentrum gedacht, damit wird die Position fortgeschrieben, die er bereits zu DDR-Zeiten innehatte. Was ehedem öder Dreh- und Angelpunkt des urbanen Lebens in der „Hauptstadt“ war, weicht nun einer Stadtarchitektur, die wie ein in Stein gehauenes „Gemeinschaftswerk Aufbau Ost“ einherkommt. Damit mag der zeitgenössische Genius loci getroffen sein, doch ist der von Dauer? Wird nicht mit der Verschmelzung der Stadthälften eine (Rück-)Verlagerung des östlichen Zentrums hin zur historischen Mitte einhergehen? Der Alexanderplatz wäre dann wieder, wie früher, ein Vor-Ort, ein Umsteigebahnhof zum Umland und Verbindungsplatz zwischen der urbanen Mitte und den östlichen Wohnquartieren. Was sollte an einem solchen Ort des Weggehens und Ankommens zum Verweilen laden? Die Qualität des Areals begründet sich nicht in einer raffinierten Platzarchitektur. Sie könnte in der wiederzufindenden und zeitgemäß zu gestaltenden Funktion als Tor zum Osten liegen, eines Zentrums, in dem sich gleichermaßen der Handel mit den osteuropäischen Ländern konzentriert, wie deren politische und gesellschaftliche Vertretungen ihre Standorte haben, eines Platzes, dem diese Länder die kulturelle Prägung geben. Ein solches Leitbild durchzusetzen wäre Aufgabe der Politik.
Wird diese Orientierung jedoch nicht planend angegangen, so droht dem Alexanderplatz, was mit dem Wettbewerb ausgeschlossen werden sollte: „primär Treffpunkt der Angestellten in den umliegenden Dienstleistungszentren (zu) sein oder gar an Sonntagen deshalb ohne Leben (zu) bleiben, weil diese dann nicht da sind“. Dieter Rulff
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