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Albrecht wußte von seinem Bluff

■ Niedersachsens Ministerpräsident schließt eine Zwangspause für Buschhaus nicht mehr aus

Aus Hannover Jürgen Voges

Als der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht die Entschwefelungsanlage des Kraftwerks Buschhaus im Juli mit großer Geste in Gang setzte, wußte er, daß danach lediglich der Probebetrieb des Filtersystems beginnen sollte. Er sei aber davon ausgegangen, „daß es klappen würde“, sagte der CDU–Politiker gestern vor der Presse in Hannover. „Enttäuscht“ ist Albrecht nun darüber, „daß die Rauchgasentschwefelungsanlage in Buschhaus, die als die beste der Welt gilt, nicht funktioniert“. Es sei von den Braunschweigischen Kohlebergwerken dem Stil nach nicht richtig gewesen, „mit großem öffentlichen Aufsehen eine Anlage in Betrieb zu nehmen, bei der man schon damals zumindest bestimmte Bedenken gehabt haben muß“, sagte Albrecht gestern im Beisein seines Umweltministers Werner Remmers. Albrecht will nun eine Stillegung der BKB–Kraftwerke „nicht mehr ausschließen“. Ob der Vertrag mit der BKB ausgesetzt werde, der diese auf einen maximalen SO–2–Ausstoß von 35.000 Tonnen in diesem Jahr verpflichtet, oder ob die Kraftwerke bei Überschreiten dieser Grenze stillgelegt würden, sei noch nicht entschieden. Fortsetzung auf Seite 2 Man werde alles tun, um ein Überschreiten dieses Schadstoffausstoßes zu verhindern und gleizeitig die Arbeitsplätze bei der BKB zu sichern. Eine mehrmonatige Kurzarbeit bei der BKB und den von ihr mit Prozeßwärme versorgten Phoenix Gummiwerken sei jedoch nicht mehr auszuschließen. Umweltminister Remmers beharrte gestern darauf, „erst in den letzten Tagen die volle Wahrheit“ über die Anlage erfahren zu haben, die in diesem ersten halben Jahr nie richtig funktioniert habe. Bei einem Besuch des Kraftwerks Buschhaus zwölf Wochen nach der offiziellen Einweihung habe ihm die BKB nichts über die Schwierigkeiten bei der Ent schwefelung mitgeteilt. Remmers gab allerdings zu, daß die Bezirksregierung Braunschweig kurz danach „spätestens im September“ sein Umweltministerium schriftlich über die nicht funktionsfähige Entschwefelungsanlage informiert hat. „Dieses Schreiben ist auf dem Dienstweg bei uns irgendwo gelandet; aber wo, das weiß ich noch nicht, das muß ich noch prüfen“, sagte der Umweltminister wörtlich. Remmers will nun eine ihm unmittelbar zugeordnete „Einsatzgruppe Umweltschutz“ aus drei bis sechs Experten schaffen, um bei wichtigen Umweltprojekten eine eigene Kontrolle zu haben. „Ich habe die Schnauze voll“, sagte Remmers, „und bin nicht mehr bereit mich auf die normalen Verwaltungswege zu verlassen.“ Über den Schadstoffausstoß der BKB–Kraftwerke seit der „Inbetriebnahme“ der Entschwefe lung in Buschhaus konnte der Minister immer noch keine genauen Angaben machen. Über gewisse Zeiträume, so sagte Remmers allerdings, sei in den Kraftwerken Offleben, Block C, und Buschhaus offentsichtlich der 400–SO– Grenzwert „drastisch überschritten“ worden. Berlins Umweltsenator Starnick äußerte sich am Freitag „bestürzt“ darüber, daß Buschhaus die Grenzwerte nicht einhält und dies „derart lange“ verschwiegen wurde. Buschhaus müßte nach Starnicks Meinung abgeschaltet werden, wenn die jährlich erlaubte Emmissionsmenge von 35.000 Tonnen Schwefeldioxid erreicht ist. Wenige Minuten vor Ablauf eines Ultimatums hat das niedersächsische Umweltministerium gestern doch noch reagiert. Über die Bezirksregierung Braunschweig teilte das Ministerium dem Berliner Rechtsanwalt Geulen und seinem Mandanten Jochen Brauer mit, daß die Betreiberfirma des Kraftwerkes Buschhaus, BKB, bisher keinen Antrag gestellt habe, die Emissionshöchstgrenze von 35.000 Tonnen jährlich zu überschreiten. Noch Anfang der Woche hatte die Landesregierung angekündigt, daß diese festgeschriebene Grenze überschritten und man mit 50.000 Tonnen Giftausstoß „leben“ müsse. Daraufhin hatte Geulen mit einer Einstweiligen Anordung gegen den Kraftwerksbetrieb gedroht und der Regierung Albrecht ein Ultimatum bis Freitag elf Uhr gestellt. Geulen erwägt jetzt eine „Strafanzeige wegen illegalen Anlagenbetriebs“. Für ihn besteht ein begründeter Verdacht, daß der Grenzwert von 400 Milligramm pro Kubikmeter Abluft über schritten und damit gegen die Genehmigungsvorschriften verstoßen werde.

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