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Albaner in Frankreich erwachen aus ihrem amerikanischen Traum

■ Tiraner Botschaftsflüchtlinge versuchen mit spektakulären Aktionen, US-Visa zu erhalten

Aus Paris A. Smoltczyk

Für Flüchtlinge beginnt die Utopie immer gleich hinter der Grenze. Vor einem Monat, in Tirana, war es nur ein Eisengitter, das die fünfhundert Albaner von ihrem gelobten Ort trennte: der französischen Botschaft. Das Gitter war schnell überklettert, Frankreich und Italien nahmen die Flüchtlinge auf.

Seit Mittwoch stehen 35 von ihnen wieder vor Gittern. Diesmal mitten in Paris, vor der Madeleine-Kirche, gleich in der Nähe der US-amerikanischen Botschaft. Denn alle wollen nur das eine: „Amerik, Amerik“ - und dafür braucht's ein Visum.

Das hatte ihnen die „Voice of America“, aus deren Sendungen die Albaner sich ihr Bild von den USA zusammenimaginiert haben, wohl nicht gesagt.

„Was ist das für eine Demokratie hier“, sagt einer von ihnen, als die Flics sie wegzudrängen versuchen, „in Albanien wußten wir zumindest, woran wir waren mit der Diktatur“. Bittere Worte im Paradies. „Alle Flüchtlinge haben von uns Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekommen. Sie können sich in Frankreich frei bewegen“, meinte der zuständige Regierungsbeamte am Donnerstag im französischen Fernsehen. Aber die Albaner würden eben, so fügte er hinzu, ihren amerikanischen Traum der französischen Realität vorziehen. Und für Träume ist er nicht zuständig.

Die amerikanische Botschaft in Paris übrigens auch nicht: dort wurden den Madeleine-Besetzern am Donnerstag lediglich die strengen Immigrationsgesetze der USA mitgeteilt. Wer keine Familie jenseits des Atlantiks hat, bekommt auch kein Visum, that's it, guys. Zweieinhalb Tage lang waren die Albaner unterwegs, um - zu Fuß oder mit der Bahn - aus ihrem Übergangslager, einer Kaserne bei Mourmelon (Hampagne), in die Hauptstadt zu kommen. Ohne einen Franc und ohne ein Wort Französisch. „Amerik“ wird man schon verstehen.

Vom Pariser Ostbahnhof wurden sie in das Notaufnahmelager in Nanterre verfrachtet, brachen prompt wieder aus in Richtung US-amerikanische Botschaft. Nachdem sie dort am Donnerstag nachmittag vorgelassen wurden, willigte die Gruppe ein, den Madeleine-Platz zu räumen und in einem anderen Lager auf den Visa-Bescheid zu warten. Sechs Monate kann das dauern. Mindestens.

Die 34 sind nicht die einzigen unter den in Frankreich ausharrenden Albanern, die in diesen Tagen alles unternehmen, um in die USA ausreisen zu dürfen. Weil sie gehört hatten, daß ein US-Visum in der Bundesrepublik leichter zu erhalten wäre, machten sich fünfzehn andere am Donnerstag in Richtung Straßburg auf.

Nachdem sie an der deutschen Grenze zurückgewiesen worden waren und in Nancy aus dem Zug gesetzt werden sollten - sie hatten keine Rückfahrkarte - blockierte die Gruppe die Schienen des Bahnhofs. Polizei schleppte die Albaner in ihr Lager zurück. Die Aktion ist beendet - der Traum geht weiter.

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