: Alarmstimmung bei SEL
■ IG Metall berichtet über angeblich bevorstehende Entlassung von 1.800 Beschäftigten beim französischen Unternehmen/ Fertigungsstandort soll aus Berlin zurückgezogen werden/ Geschäftsleitung Zahlen und will Umstrukturierung präsentieren
Berlin. Alarmstimmung bei der SEL AG/Alcatel in Tempelhof. Das französische Unternehmen Standard Electric Lorenz will sich aus Berlin zurückziehen, den Fertigungsstandort in Tempelhof schließen. 1.800 Beschäftigte würden entlassen werden. Dies hat die IG Metall aus »gut unterrichteten Kreisen« erfahren. Heute soll der Wirtschaftsausschuß des Abgeordnetenhauses über die Schließung unterrichtet werden.
Zu Stellungnahmen ist die SEL- Geschäftsleitung »im Moment nicht bereit«, hieß es aus dem Vorstandszimmer des Stuttgarter SEL-Chefs Gerhard Zeidler. »Absolut falsch« seien aber die von der Gewerkschaft angegebenen Zahlen. Auf einer Pressekonferenz am kommenden Donnerstag in Stuttgart will das Unternehmen aber ein Umstrukturierungskonzept vorlegen. Nach Informationen der IG Metall würden in Berlin von dieser Umstrukturierung 250 Mitarbeiter aus dem Quarzwerk, 750 aus dem Bereich Bürokommunikation, 500 aus dem Bereich Bahnen und Navigation, 200 aus der Blechfertigung und 100 Auszubildende betroffen sein. Vor allem in den Bereichen Bürokommunikation und Bahnen und Navigation arbeiten viele angelernte Frauen. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Mamoris befürchtet, daß besonders die Frauen und Ausländer Schwierigkeiten haben werden, einen anderen Arbeitsplatz zu finden. Bei SEL arbeiten mehr als 40 Prozent Ausländer.
In einem Gespräch mit der 'Stuttgarter Zeitung‘ vermutete der Gesamtbetriebsrat Günter Eller, daß die Firmenleitung ihren Abzug aus Berlin mit dem Wegfall der Berlinförderung begründen will. Der Konzern sei mit 50 Millionen DM pro Jahr subventioniert worden, das sei »fast die Hälfte des Jahresüberschußes«. Ohne die Berlinförderung, sagte Eller weiter, wäre das Unternehmen bald in den roten Zahlen. Eine Standortschließung will er aber nicht hinnehmen. »Die Werke müssen sich unabhängig von Zuschüßen selbst tragen«, sagte er. Die IG Metall hält einen Hinweis des SEL-Vorstandes auf die bald fehlende Berlinförderung für »fadenscheinig«.
Spekuliert wird in Stuttgart, daß der Bereich Bürokommunikation an die neuen SEL-Standorte in der ehemaligen DDR verlegt werden könnte. Das wären nach Arnstadt bei Erfurt oder Rochlitz in der Nähe von Leipzig. Im Gegenzug könnten Forschung und Entwicklung des früheren VEB Nachrichtentechnik, mit dem die SEL ein Gemeinschaftsunternehmen gründete, nach Berlin gehen. Doch auch davon hält Eller nichts. Er und seine Berliner Kollegen wollen verhindern, daß die Beschäftigung dorthin abwandert, wo die Löhne bis auf weiteres niedrig sind. In der DDR könnte die SEL das einhalten, was sie kurz vor der Währungsunion angekündigt hatte. Nämlich in einem eigenen Werk Fernschreiber für den Ost-Markt herstellen. aku
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