Aktivistin Reemtsma über Klimaerwärmung: „Grünes Wachstum bleibt Illusion“

Auch mit den Grünen in einer Ampelkoalition könnte das 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden, sagt FFF-Klimaaktivistin Carla Reemtsma.

Portrait von Clara Reemtsma.

Carla Reemtsma sieht bei keiner Partei genug Ambitionen für echten Klimaschutz Foto: Michele Tantussi/reuters

taz: Ist die Ampelkoalition das kleinste Übel, Carla Reemtsma?

Carla Reemtsma: Was wäre denn die Alternative gewesen? Eine Regierung mit der CDU?

Wer ist gefährlicher, CDU oder FDP?

Die CDU zeigt absoluten Unwillen in Bezug auf den Klimaschutz. Da scheint die FDP fortschrittlicher. Trotzdem gibt sie auf soziale Fragen krass neoliberale Antworten. Die würden die soziale Ungerechtigkeit noch verschlimmern.

23, ist Klimaschutzaktivistin und Mitbegründerin des Schulstreiks Fridays for Future FFF in Deutschland.

Allerdings wird die FDP die Klimapolitik mitbestimmen. Wie kann ihr die Macht genommen werden?

Entlarvung ist jetzt das Stichwort und auch das essenzielle Ziel unserer kommenden Protestbewegung. Nur so können wir zeigen, dass diese Idee „eines grünen Wachstums“ nicht funktioniert. Das ist und bleibt eine Illusion, die uns davon abhält, echten Klimaschutz zu betreiben.

Grünes Wachstum soll Wirtschaftswachstum mit Umweltschutz kombinieren. Ist das nicht besser als gar kein Klimaschutz?

Es gibt kein Beispiel eines Staates, in dem es gelungen ist, Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Wir könnten es vielleicht schaffen, in einem Staat wie Deutschland unsere imperiale Lebensweise aufrecht zu erhalten und alle Verbrenner durch E-Autos zu ersetzen. Wir beuten aber weiterhin Menschen vor Ort in Ländern aus, wo beispielsweise die Rohstoffe für Batterien der Autos hergestellt werden. Anstatt zu sagen, besser als gar nicht, muss man sich fragen: Was sind Alternativen?

Strebt überhaupt irgendeine Partei echten Klimaschutz an?

Nein, und auch keines der ganzen Unternehmen, die jetzt gerade mit einem grünen Image werben und sich zu unseren Verbündeten erklären. Nur wer das 1,5-Grad-Ziel verfolgt, ist un­se­r:e Verbündete:r.

Wäre es nicht einfacher für Fridays for Future mit der GroKo weiterzumachen, dann hätte man immerhin weiter einen klaren Gegner?

Ich finde es total zynisch zu sagen, wir wünschen uns eine klimafeindlichere Regierung, bloß weil wir dann besser konfrontativen Protest organisieren können. Es ist unsere Aufgabe als Bewegung, die regierenden Parteien zu kritisieren. Da wird es in einer Ampelkoalition genug Arbeit für uns geben. Sei es die ganze Idee von „Wir lösen die Klimakrise nur durch Innovation und Technik“. Oder das Ziel der Grünen von grünem Wirtschaftswachstum. Das ist vielleicht nicht ganz so einfach wie bei einem Armin Laschet, der den Kohleausstieg 2038 super findet und den Hambi (den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen; Anm. d. R.), räumen lässt.

Gibt es in den FFF-Reihen Aktivist:innen, die mit FDP und Union sympathisieren?

Es gibt Aktivisten bei uns, die in der Jungen Union oder bei den JuLis sind. Aber nicht viele, weil das einfach ein inhärenter Widerspruch ist.

Könnten sie radikaleren zivilen Ungehorsam verhindern?

Dass es bisher noch keinen radikaleren zivilen Ungehorsam gab, lässt sich nicht auf ein paar Ak­ti­vis­t:in­nen zurückführen, die bei der Jungen Union aktiv sind. Das hat eher etwas mit der generellen Heterogenität der Bewegung zu tun.

Wird an diesem Wochenende – abgesehen vom Streik am heutigen Freitag – von Fridays for Future ziviler Ungehorsam ausgehen?

Wir machen erst mal den Klima­streik. Wir sind aber Teil eines Bündnisses, in dessen Rahmen auf jeden Fall Aktionen stattfinden.

Wäre ziviler Ungehorsam nicht wirkungsvoller?

Es braucht auf jeden Fall vielfältige Aktionsformen, von der Petition, die meine Oma unterschreiben kann, bis hin zu Leuten, die mit ihren Körpern Bagger blockieren. Wenn wir wieder stärker über Dringlichkeit sprechen wollen, braucht es eine Radikalisierung der Aktionsformen. Klima ist so sehr im Mainstream angekommen, dass jede und jeder sagen kann, er oder sie ist für Klimaschutz, aber gleichzeitig jede einzelne Klimaschutzmaßnahme ablehnen kann.

Also eine Art Teilradikalisierung?

Nicht jede politische Entscheidung für oder gegen mehr Klimaschutz kann man direkt durch „Wir blockieren Bagger oder die Rodungen“ aufhalten. Es ist auch eine Form von Radikalisierung, uns mit den Menschen zu organisieren, gegen die wir konsequent ausgespielt werden. Klimagerechtigkeit braucht eine grundlegende gesellschaftliche Transformation. Die können wir mit 0,5 Prozent Klimaaktivisten in der Gesellschaft nicht umsetzen. Wir brauchen eine breitere Verankerung. Zum Beispiel bei Ar­bei­te­r:in­nen in den Industriewerken, die immer als Grund für weniger Klimaschutz angegeben werden.

Führt ziviler Ungehorsam nicht zu einer Abwendung vieler Bür­ge­r:in­nen von der Bewegung?

Der Klimastreik selbst war so erfolgreich, weil er polarisiert hat. Jetzt bekennen sich alle zu Klimaschutz, aber faktisch sehen wir keine Fortschritte. Die Ak­ti­vis­t:in­nen sind total sauer und möchten diese Wut sichtbar machen für die Öffentlichkeit.

Richtet sich die Wut nicht möglicherweise gegen die Falschen, wenn eine Straße blockiert wird?

Eine essenzielle Frage ist immer: Was und wen blockiert man? Ganz viele Proteste der Klimabewegung richten sich deshalb sehr konkret vor Ort gegen klimazerstörerische Projekte wie die Tagebaue im Rheinland, Pipeline-Ausbauprojekte oder die Rodung von Wäldern für neue Autobahnen. Doch was ist mit klimapolitischen Entscheidungen ohne konkreten Ort? Gibt es Alternativen zu Straßenblockaden? Da muss die Klima­bewegung noch kreativ werden.

Ist jede Art von Aufmerksamkeit, sei es negative oder positive, besser als gar keine?

Das würde ich nicht sagen. Gewalt zum Beispiel geht auf gar keinen Fall. Grundbedingung für zivilen Ungehorsam ist natürlich, dass er friedlich ist.

Die SPD steht offiziell für soziale Politik. Ist Olaf Scholz als Kanzler der Richtige, um die Frage nach mehr Klimagerechtigkeit zu lösen?

Das wäre natürlich schön. Was wir aber gerade sehen, sind drei unzureichende Wahlprogramme, die ein unzureichendes Potpourri ergeben. Die Klimakrise ist eine soziale Gerechtigkeitskrise. Die Menschen mit geringen Einkommen, prekärer Wohn- und Beschäftigungssituation sind am stärksten von den Folgen der Klimakrise auch hier in Deutschland betroffen. Aber mit am wenigsten dafür verantwortlich. Die Koalitionsverhandlungen werden da vermutlich kein grundlegendes Neudenken bringen. Ich sehe nicht, dass das die perfekte Verbindung von Klima und sozialer Frage ist.

Wir sind vom 1,5-Grad-Ziel der Begrenzung der Klimaerwärmung weit entfernt. Wann sollte man dieses Ziel aufgeben und Schadensbegrenzung betreiben?

Das Ziel werden wir als Klimabewegung nicht aufgeben. Wissenschaftlich gesehen können wir die Emissionen noch so reduzieren, dass wir im Einklang mit der 1,5-Grad-Grenze bleiben. Daran festzuhalten und weiter um jedes Zehntel zu kämpfen, ist fundamental wichtig. Die Grenze ist politisch nicht willkürlich gewählt. Es ist die Grenze, ab der Kipppunkte erreicht werden, die die Klimakrise drastisch verschlimmern würden. Jetzt sind wir bei 1,2 Grad und die Lebensgrundlagen in vielen Regionen sind jetzt schon existenziell bedroht.

Wenn aber eine Koalition zustande kommt, von der man schon ahnen kann, dass auch mit ihr das Ziel nicht erreicht wird, müsste man es doch aufgeben.

Auch in der vergangenen Koalition war klar, dass die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze nicht machbar war. Wir haben so viele Proteste organisiert, dass es plötzlich ein Klimapaket gab. Auch wenn es komplett unzureichend ist. Das zeigt, ist der gesellschaftliche Druck hoch, werden Dinge auch außerhalb eines Koalitionsvertrages umgesetzt.

Sollte man sich jetzt schon mehr Gedanken über die Schadensbegrenzung machen?

Wir müssen überlegen, wie Städte und Gesellschaften resilienter aufgebaut werden können? Auch über die internationale Anpassung an die Folgen der Klimakrise müssen wir reden. In den Staaten, die am wenigsten für die Krise verantwortlich sind, hat diese jetzt schon lebensbedrohliche und teilweise tödliche Folgen. Die Industriestaaten des globalen Nordens können das gar nicht mehr ausgleichen. Egal wie viel Klimaschutz sie noch betreiben. Sie müssen auf jeden Fall finanzielle Unterstützung leisten. Das ist eine der zwei Säulen des Pariser Klimaabkommens, die häufig vergessen wird. Und da scheitern die Industriestaaten gerade genauso wie in ihrer Verantwortung, Emissionen zu senken.

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