Agrarwissenschaftlerin über Naturschutz: „Ohne Schutzgebiete geht es nicht“

Das Ziel, ein Drittel der Erde unter Naturschutz zu stellen, ist richtig, sagt Heidi Wittmer vom Zentrum für Umweltforschung. Aber: Es reicht nicht.

Ein Kind in einer staubigen Landschaft

Braucht intakte, offene Weidegründe: Hirte in Kenia, etwa 180 Kilometer südlich Nairobis Foto: Radu Sigheti/reuters

taz: Frau Wittmer, die Natur lässt sich nicht durch Schutzgebiete erhalten, sagt der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umwelt. Hat er Recht?

Heidi Wittmer: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Die Natur ist in den meisten geschützten Gebieten in einem deutlich besseren Zustand als außerhalb. Das gilt sicherlich nicht an jeder einzelnen Stelle, aber im Durchschnitt schon. Der Naturschutz durch Schutzgebiete ist nicht gescheitert. Aber wenn es in ihnen zu massiven Menschenrechtsverletzungen kommt, dann haben wir natürlich ein Problem.

Heidi Wittmer

ist Agrarwissenschaftlerin und leitet das Team Biodiversitätspolitik am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

Sind Menschenrechtsverletzungen in Schutzgebieten im Globalen Süden die Ausnahme oder die Regel?

Menschenrechtsverletzungen, insbesondere an Indigenen, kommen ja nicht nur in Schutzgebieten vor und werden auch nicht auf einmal geachtet, wenn man den Naturschutz aufgibt. Ohne Naturschutz geht es der Bevölkerung nicht unbedingt besser. Es gibt auch lokale Bevölkerungen, die sich aktiv darum bemühen, dass ihr Lebensraum unter Naturschutz gestellt wird, weil ihr Land dann nicht an Agrarkonzerne verkauft, ihr Wald nicht gerodet werden kann. Ob Menschenrechtsverletzungen also die Ausnahme oder die Regel sind, lässt sich schwer beantworten. Es gibt unterschiedliche Typen und Konzepte von Schutzgebieten.

Welche sind anfälliger für Menschenrechtsverletzungen?

Es gibt den Schutzgebietstyp des Nationalparks, der von Menschen nicht genutzt werden darf. Vor allem in Afrika sind die Nationalparks in den vergangenen 10 bis 15 Jahren sehr stark aufgerüstet worden mit militärischem Gerät, mit Drohnen und mit Stacheldraht. Damit hat man dort auf Wilderei reagiert. Der Handel etwa mit Nashornprodukten, Elfenbein oder Holz ist attraktiv, es werden hohe Preise gezahlt. Die Nachfrage geht nicht von der örtlichen Bevölkerung aus, sondern kommt aus China oder Europa.

Häufig heuern die Händler dann Menschen aus der lokalen Bevölkerung an, die den letzten Schritt machen und in den Schutzgebieten den bewaffneten Rangern gegenüberstehen. Abgesehen davon kommt es auch immer wieder zu bewaffneten Übergriffen auf die lokale Bevölkerung und zu Menschenrechtsverletzungen an Indigenen, die überhaupt nichts mit der Wilderei zu tun haben. Sie leben häufig in den Gebieten, die nicht zerstört sind – und damit für den Naturschutz attraktiv sind.

Das Abkommen

Die 1993 in Kraft getretene und völkerrechtlich bindende UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt (Convention on Biodiversity, CBD) ist das wichtigste multilaterale Vertragswerk zum Schutz der Artenvielfalt. Ihr Ziel ist der Erhalt der biologischen Vielfalt, ihre nachhaltige Nutzung sowie die gerechte Aufteilung der sich aus der Nutzung der genetischen Ressourcen ergebenden Vorteile.

Der Plan

2022 wollen die knapp 200 Vertragsstaaten ein neues Rahmenabkommen beschließen. Der „Strategische Plan 2011–2020“ war vergangenes Jahr ausgelaufen und konnte wegen der weltweiten Pandemie nicht erneuert werden. Seit dem 23. August und noch bis zum 3. September debattieren Experten in virtuellen Arbeitsgruppen über die neue Artenschutz-Strategie.

Welche Konzepte funktionieren besser?

Die Internationale Naturschutzorganisation IUCN definiert neun Schutzgebietstypen mit unterschiedlichem Status, vom Nationalpark bis hin zu Biosphärenreservaten. In ihnen wird die Entwicklung der Natur mit menschlicher Nutzung zusammengedacht. Sie funktionieren meistens gut.

UN-Sonderberichterstatter David R. Boyd kritisiert allerdings nicht nur Menschenrechtsverletzungen. Er sagt, mit dem Schutzgebietskonzept lässt sich das Artensterben nicht aufhalten …

… ohne aber auch nicht. 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, das ist ein klar definierbares, politisches Ziel. Das ist erst mal gut, aber natürlich reicht es nicht. Wir müssen Naturschutz viel breiter denken und auch in der restlichen Fläche den Schutz der Ökosysteme konsequent umsetzen. Wir stehen an einem Punkt, wo wir als Gesellschaft eine große Transformation einleiten müssen. Mit unserer westlichen Art zu leben verbrauchen wir 160 Prozent dessen, was der Planet produziert. Wir reduzieren systematisch das, was er uns an Ressourcen zur Verfügung stellt. Wenn wir glauben, dass wir unsere Lebensgrundlagen retten können, indem wir 30 Prozent unter Schutz stellen und außerhalb weiter so intensiv Chemikalien einsetzen, Ressourcen und Energie verbrauchen wie bisher, dann machen wir uns etwas vor.

Ist das in den Verhandlungen für das neue Umsetzungsprogramm der Biodiversitätskonvention präsent?

Es gibt in den Verhandlungen ein Bewusstsein dafür, dass wir einen breiteren Wandel brauchen, andere Agrar- und Ernährungssysteme, mehr Kreislaufwirtschaft. Die Meinung darüber, wie viele von diesen Themen in einer Biodiversitäts-Konvention behandelt werden können, gehen aber auseinander. Man ist sich einig, dass wir unsere Erde und ihre biologische Vielfalt nicht allein aus einem Umweltministerium heraus schützen können. Das löst die Problematik nicht. Es geht längst nicht mehr darum, einzelne Arten zu erhalten, sondern darum, die systematische Zerstörung zu beenden. Das geht uns alle an und gehört wie die Wahrung der Menschenrechte ins Zentrum der Politik.

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