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StandbildAgenten guten Willens

■ „Oh Gott,Herr Pfarrer“

(“Oh Gott, Herr Pfarrer“ zum vorletzten Male, ARD, montags 20.15 Uhr) Zunächst ist da ein junger Mensch, der an all das wirklich glaubt, was ihm Kanzler und Fernsehwerbung täglich einreden: Daß es nur an jedem einzelnen liege und an seiner Tüchtigkeit, ob aus ihm was wird, daß man aber auch was riskieren müsse, und daß Risiko belohnt wird in unserer freien Wirtschaft. Folgerichtigt geht er hin, überfällt und erschießt einen Geldboten. Der Pfarrer hält später den Beweis, die Tatwaffe, in Händen und übergibt sie skrupellos, gesetzestreu und selbstverständlich dem Ekel von der Kripo. Am Ende wird der nette reuige Mörder brutal zu „lebenslänglich“ verurteilt und der Pfarrer, der ihn besser kennt, wird beinahe traurig. Aber der Richter besänftigt: hier werde Recht geübt und nicht Barmherzigkeit. Also alles gar nicht so schlimm: Jeder macht nur seinen Job. Richter richten, Pfarrer vergeben, Arbeiter arbeiten und Chefs scheffeln.

Das besonders Widerwärtige dieser Serie ist mir erst gar nicht aufgegangen, denn der Schwarzrock kommt als überlebter '68er daher und haut auch seine Kinder nicht. Schon daß er Volvo fährt, hätte stutzig machen müssen. Ein Zeichen – aber wofür nochmal?! Und dann dieser Luxus der eigenen Meinung, der Ungehorsam der Polizei gegenüber und der mutige Gefängnisbesuch. Darf man das denn, ohne vom Herrn Oberkirchenkonsistorialrat nach Lichtenrade verbannt zu werden?!

H.M. Enzensberger, langjähriger Kritiker der „Bewußtseinsindustrie“, bemerkte dieser Tage in einem 'Stern'-Interview: „Das Mittelmaß hat die Herrschaft übernommen ... und sobald eine Klasse das Sagen hat, ist sie unerbittlich. Das gilt auch für die Mittelklasse.“ Mag an dieser Auffassung auch einiges schief sein, so erklärt sie immerhin den großen Erfolg von so durch und durch ideologischen TV-Serien wie „Schwarzwaldklinik“, „Liebling Kreuzberg“, „Praxis Bülowbogen“ und, neuestes Beispiel, „Oh Gott, Herr Pfarrer“. Die Gemeinsamkeit davon ist: Angehörige der „Neuen Mittelschicht“, Menschen also, deren Beruf in der sozialtechnischen Niederhaltung abweichenden Verhaltens besteht, werden bei ihrem Job beobachtet. Das große Publikum vor der Mattscheibe – über zehn Millionen sehen sich sowas jedesmal an – ist normalerweise nur Objekt von Anwälten, Pfarrern, Ärzten und tritt diesen im Leben als Opfer gegenüber. Für sie haben diese Sendungen denselben Voyeurs –Charakter wie vor dreihundert Jahren Hofklatsch für Leibeigene.

Das Muster läßt sich beliebig fortsetzen. Statt Filme über Schülerselbstmorde empfehlen sich Serien über Bezieungsprobleme im modernen linken Lehrerhaushalt. Anstelle von „Neuer Armut“ zeige man den spannenden Alltag einer Sozialamtsleiterin (leicht feministisch angetörnt natürlich). Und zum neuen deutschen Spitzenthema „Aids und Drogen“ empfiehlt sich eine lustige Spielserie über einen schwulen Streetworker und seine Privatprobleme mit Überziehungskredit und Eigentumswohnung. Genau wie die Dritte Welt (welch schreckliches Wort, als wenn wir die Erste wären) nicht vorkommt, von der dieses Land aber täglich lebt, genauso eskamotiert diese Sichtweise die gesellschaftlich vertikale Ausgrenzung immer größerer Randgruppen von „Gescheiterten“, in Wahrheit die notwendigen Opfer dieser Wirtschaftsweise. Das erzeugt einerseits Angst, denn man könnte ja selbst „absteigen“, wie andererseits eben diese Art berufsmutiger Sozialagenten, um die „Asozialen“ ruhigzuhalten. „Menschenverachtend-und-zynisch“ werden zudem die Opfer zum Unterhaltungsgegenstand der Millionen gemacht, die sich eine Farbglotze noch leisten können.

Übrigens noch ein heißer Tip für fleißige Serienschreiber: Kreuzberger Kiezprobleme lassen sich exzellent und spaßig vom Standpunkt einer mißglückten Edelfreßstätte aus beschreiben, Wohnungsfragen am Beispiel „Stattbaubüro“ und die „Neue Unübersichtlichkeit“ der Jugendbewegungen aus dem Innern der taz-Redaktion ... Dieser Hinweis ist kostenlos, wir armen bedrohten Neuen Mittelschichten müssen schließlich zusammenhalten.

Dr.Seltsam

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