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Afrika? Afrika!

■ David Lambs „Afrika, Afrika - Menschen, Stämme, Länder“

Was erfahren wir üblicherweise von Afrika? Hin und wieder etwas von Libyen und seinem bösen Oberst, zuweilen etwas über Ägypten, wenn es in den israelischen Krieg gegen die Araber involviert ist; und natürlich ziemlich regelmäßig etwas über Südafrika.

Daß die Sahara die größte Wüste der Welt ist, haben wir vielleicht schon in der Schule erfahren; es wird uns jedoch entgangen sein, daß sie pro Jahr um 100.000 Quadratkilometer größer wird. Südlich der Sahara gibt es 46 Staaten, wie heißen sie? Tansania, Kenia, Uganda... und? Wissen wir leider nicht. Sie bedecken den zweitgrößten Kontinent unserer Erde, er ist 8.000 Kilometer lang, 7.600 Kilometer breit. Dieses „Schwarzafrika“ südlich der Sahara, also ohne die fünf islamischen Staaten in Norden, weist Übereinstimmungen auf, die es erlauben, es als eine Einheit zu betrachten, zu beurteilen, zu erklären.

Diesen Versuch hat David Lamb in dem hier angezeigten Buch unternommen.

Nach der Lektüre hat dieses „Schwarzafrika“ für uns beträchtlich an Realität gewonnen. Wir wissen nun beispielsweise, daß es von 2.000 Volksstämmen besiedelt ist, die fast ebenso viele verschiedene Sprachen sprechen, und daß die Stammeszugehörigkeit die mit dem Abzug der Kolonialmächte entstandene politische Staatsangehörigkeit innerhalb der willkürlich gezogenen Grenzen der ehemaligen Kolonien überlagert. So gibt es zum Beispielin Kenia eine Kikuyu-Kultur, aber keine keniatische. Die in Jahrhunderten entstandene Bindekraft der Stämme formt die ethnischen Strukturen des riesigen Kontinents.

Zwischen 1956 und 1980 wurden 43 Länder ihre weiße Kolonialherrschaft los, aber mit der Entlassung in die fragwürdige Freiheit der eigenen Staatlichkeit waren in den allermeisten Fällen keine Verbesserung der Lebensverhältnisse, keinesfalls mehr Identitätsbewußtsein, mehr innerer Frieden verbunden. Mit dem Verschwinden des weißen Feindes flammten die Machtkämpfe zwischen den Stämmen auf. So massakrierten in Burundi die Watussi, zahlenmäßig in der Minderheit, binnen drei Monaten 200.000 Angehörige des Hutu-Stammes, um die Macht zu behalten.

Wie die weiße „Herrenrasse“ in den Kolonien gehaust hat, in welchem Zustand sie sie verlassen hat, beschreibt Lamb am genauesten am Beispiel der Portugiesen. Angola, aus dem sie unermeßliche Reichtümer herausgepreßt hatten, war für sie ein „Abladeplatz analphabetischer Bauern“ gewesen, wohin sie auch den kriminellen Bodensatz Portugals abschoben. Nach 500 Jahren Kolonialherrschaft konnten in Angola 98 Prozent der eingeborenen Bevölkerung weder lesen noch schreiben. Die Entstehung einer schwarzen Elite war mit Feuer und Schwert verhindert worden. Ähnlich handelten die Portugiesen in ihrer zweiten großen Afrikabesitzung, in Mosambik.

Lamb geht ausführlich auf die „erste Jagd auf Afrika“ ein, die vor hundert Jahren stattfand, hat aber an Ort und Stelle den Eindruck gewonnen, daß die gegenwärtige Invasion zwar subtiler vor sich gehe, aber mit gleichen Zielen: wirtschaftliche und strategische Vorherrschaft. Noch hätten die in die „Freiheit“ entlassenen Staaten nicht die Kraft, sich ihr zu widersetzen, zumal sie von riesigen Schuldenbergen erdrückt werden. Dennoch sieht er für Afrika eine Entwicklung voraus, in der dieser Kontinent in zwanzig oder dreißig Jahren soviel Gewicht haben wird, daß er auf die Politik der Großmächte weltweit entscheidenden Einfluß gewinnen könnte. Das wäre die sanfte Lösung der Probleme der Dritten Welt. Nach meiner pessimistischen Überzeugung werden einige dieser von uns ausgebeuteten Staaten über kurz oder lang über selbstgebaute oder eingeschmuggelte Atomwaffen verfügen, und da sie nichts zu verlieren haben, werden sie kaum zögern, sie einzusetzen. Wir glauben, nicht ganz ohne Grund, das Ende des kalten Krieges zwischen West und Ost zu erleben. Ein Krieg zwischen Nord und Süd gewinnt gerade dadurch an Wahrscheinlichkeit, daß die sogennannte „Entwicklungshilfe“ der Industriestaaten nicht mehr dafür herhalten muß, den Einfluß der UdSSR in Afrika und Südamerika zurückzudrängen, und vice versa.

Erich Kuby

David Lamb: Afrika, Afrika. Menschen, Stämme, Länder. Kyrill & Method Verlag München. 400 Seiten. Aus dem Amerikanischen von Bennett Theimann, 39,80 DM

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