AfD-Bundesparteitag in Kalkar: Meuthen kann bleiben
Die AfD hat sich ein Sozialkonzept gegeben. Doch das lässt die meisten Delegierten kalt. Emotional gestritten wird über Parteichef Jörg Meuthen.
Im Saal entlädt sich eine Spannung, die sich seit Monaten aufgebaut hat. Seit Meuthen gemeinsam mit der Vize Beatrix von Storch den Bundesvorstand der Partei erst dazu drängte, den rechtsextremen „Flügel“ um Björn Höcke und Andreas Kalbitz zur Auflösung zu zwingen. Und dann die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Kalbitz durchsetzte.
„Sie haben den integrativen Kurs verlassen“, kritisiert Thorsten Weiß, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. „Herr Meuthen, Ihre Zeit in der AfD ist vorbei“, ruft Jürgen Pohl, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen. Und Hans-Thomas Tillschneider, Mitglied im Landtag in Sachsen-Anhalt, brüllt: „Wenn das Führung ist, dann sind Sie ein Führer ins Nichts.“
Meuthen kennt all diese Leute genau. Es sind „Flügel“-Männer, die seit Langem gegen ihn mobilmachen und jetzt ihre Chance wittern. Denn Meuthen hatte am Samstag zum Auftakt des Parteitags den Delegierten die Leviten gelesen – und damit für Aufregung gesorgt. Die Zeit, in der man von einem Wahlerfolg zum nächsten eile, sei vorbei, sagte er. Es könne noch alles kaputtgehen. Und schuld daran seien die Provokateure in den eigenen Reihen – darunter die Abgeordneten, die in der vergangenen Woche Gäste in den Bundestag gebracht hatten, die Abgeordnete bedrängten.
„Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten“, rief Meuthen in den Saal. Er kritisierte das Gerede von einer „Coronadiktatur“, Vergleiche mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 und fehlende Distanz zur sogenannten „Querdenker“-Bewegung. „Das kann und darf so keinesfalls weitergehen“, sagte der Parteichef, sprach von „rumkrakeelen“ und „rumprollen“, von „Kindergarten“ und „Politkasperle“ und forderte stattdessen Disziplin. Der Applaus im Saal war verhalten, doch auch Buhrufe gab es kaum. Fast so, als wäre der Parteitag in einer Schockstarre.
Gauland fehlt am zweiten Kongresstag
Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland schaute hinter seiner Maske mit dem Hundemuster, das er sonst auf der Krawatte trägt, alles andere als amüsiert. Hat er doch selbst von „Coronadiktatur“ gesprochen. Meuthens Angriff gilt also auch ihm. Später wird Gauland im TV-Interview sagen, Meuthens Rede sei „spalterisch“ und „zu viel Verbeugung vor dem Verfassungsschutz“ gewesen. Die Behörde prüft derzeit, ob die Gesamtpartei als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird.
Mit seiner Rede hat Meuthen den Anlass dafür gegeben, was am Sonntagvormittag passiert. Zwar liegt der Antrag gegen ihn schon seit Wochen vor. Aber ohne Meuthens Rede am Vortag wäre er chancenlos. Auch weil er von Dubravko Mandic stammt, einem Totalrechtsaußen aus Baden-Württemberg, der unter anderem keinen so richtigen Unterschied zwischen NPD und AfD sehen will und am Samstag auf dem Parteitag den Ausschluss der Presse forderte, weil diese von dort unschöne Bilder liefern könnte. Doch nach Meuthens Rede ist ein guter Teil der Delegierten aufgebracht.
Alexander Gauland beteiligt sich an der sonntäglichen Debatte allerdings nicht mehr: Er musste sich wegen gesundheitlicher Probleme in ärztliche Behandlung begeben und konnte somit nicht am zweiten Tag des Bundesparteitags teilnehmen. Ko-Fraktionschefin Alice Weidel richtete auf Bitte Gaulands „herzliche Grüße aus dem Krankenhaus“ aus. „Es geht ihm gut, er ist wohlauf“, sagte Weidel.
Knappe Mehrheitsverhältnisse
Am Sonntag um kurz nach 12, als Meuthen also noch einmal kurz reden kann, macht der Parteichef einen klugen Move. Er rudert ein bisschen zurück, betont also, dass es auch ehrlich besorgte Leute unter den „Querdenkern“ gebe und dass er durch Disziplin neue Einheit in der AfD schaffen wolle. Und er geht gleichzeitig zum Angriff über. Er sei dafür gewählt, auch fehlerhafte Entwicklungen in der Partei zu benennen, sagt Meuthen. „Wem das nicht gefällt, der möge einen Abwahlantrag stellen.“
Die für solch einen Antrag notwendige Zweidrittelmehrheit ist an diesem Wochenende allerdings nicht in Sicht. Denn eigentlich, das zeigen viele Abstimmungen über die beiden Tage, ist das Verhältnis der beiden Lager fast halbe-halbe, mit leichter Tendenz zugunsten der Meuthianer. Diesen gelingt es am Ende im vierten Anlauf, eine Abstimmung über den Mandic-Antrag doch noch zu verhindern.
Auch bei den Nachwahlen für drei Posten im Bundesvorstand setzten sich jeweils knapp jene durch, die parteiintern als gemäßigt gelten. Damit hat sich in dem Spitzengremium die Mehrheit weiter zugunsten der Gruppe um Meuthen und von Storch verschoben. Eine der Neuen: die hessische Bundestagsabgeordnete Joana Cotar, die zur Nachfolgerin von Kalbitz gewählt wurde. Der „Flügel“-nahe Maximilian Krah, der im Europaparlament sitzt und unter anderem von Meuthens Co-Chef Tino Chrupalla unterstützt wurde, unterlag.
„Im Großen und Ganzen“ an die Hygieneauflagen gehalten
Jenseits der Debatte über Meuthen geht es auf dem Parteitag eher geschäftsmäßig zu. Recht diszipliniert halten sich die etwa 550 Delegierten, die mit Abstand an Einzeltischen sitzen, an die Hygieneauflagen. Die meisten tragen Masken, knapp ein Zehntel soll Atteste vorgelegt haben, dass dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.
Die Stadt Kalkar hatte angekündigt, den Parteitag notfalls auch zu beenden, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden sollten. Später teilte sie mit, dies sei aber „im Großen und Ganzen“ der Fall. Die Eskalation, die manche auch in der Partei in Sachen Maskenpflicht befürchtet hatten, blieb aus.
Am Samstag haben die Delegierten mit großer Mehrheit einen Leitantrag zur Sozialpolitik verabschiedet, der im Kern ein Rentenkonzept vorsieht. Das sollte eigentlich der Schwerpunkt des Parteitags sein. In Erinnerung aber wird dieser als unvollendeter Aufstand gegen Meuthen bleiben.
Bei der Debatte hatten sich übrigens Meuthen-Unterstützer recht schnell an die Saalmikrofone gestellt, damit sie vor dem Ende der Redeliste noch berücksichtigt werden würden. Die „Flügel“-Leute waren eindeutig langsamer. Wäre Kalbitz, der Ex-AfDler und Ex-„Flügel“-Strippenzieher, dabei gewesen, wäre das wohl nicht passiert.
Hinweis der Redaktion: Die Berichterstatterin der taz hat wegen der Coronalage den Parteitag der AfD nicht vor Ort, sondern vor dem TV-Bildschirm und im Livestream verfolgt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit