: Ärzte sollen lernen
Die medizinische Versorgung behinderter Frauen ist teilweise katastrophal. Expertinnen fordern Abhilfe
569 gynäkologische Praxen zählt die Ärztekammer in Berlin. Eine einzige davon könnten körperlich behinderte Frauen im Rollstuhl erreichen und dort ohne fremde Hilfe die Toilette benutzen, sagt Dörte Gregorschewski vom Netzwerk behinderter Frauen Berlin. Auf einer Informationsveranstaltung im Abgeordnetenhaus forderte sie am Montag Politiker und Ärzte dazu auf, für Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Praxen und Wohlfahrtseinrichtungen so einfach zu gestalten wie für alle anderen Bürger.
Mit dem Entfernen baulicher Hürden sei es jedoch nicht getan: Auch sprachliche Hürden müssten gesenkt werden; dazu zählten eine einfache Sprache im Umgang mit geistig Behinderten und die Gebärdensprache für gehörlose PatientInnen. Die sollten möglichst viele Ärzte lernen, so Gregorschewski.
Zwar garantiert das Sozialgesetz jedem Bürger die freie Entscheidung, zu welchem Arzt er oder sie gehen möchte. Aber das sei nur Theorie, die dringend umgesetzt werden müsse. Auch die Krankenkassen stünden in der Pflicht, mehr Leistungen für behinderte Mädchen und Frauen zu übernehmen; Ärzte und Pflegepersonal schließlich müssten besser für den Umgang mit Behinderten ausgebildet werden, als das bislang der Fall ist.
80 Prozent der Bewohner von Berliner Pflegeheimen seien Frauen, sagt Sigrid Arnade. Doch kaum eine könne sich ausbitten, von einer Frau gewaschen zu werden. Viele der älteren Frauen seien vom Krieg traumatisiert und hätten Vergewaltigungen erlitten, so Arnade, „auch der nette Zivi mit den langen Haaren“ sei da eher eine Belastung.
Dramatisch seien die Fälle, in denen meist geistig behinderte, jüngere Frauen sexuell missbraucht werden. Die Aufklärungsrate ist minimal, sagte Arnade. Deshalb müsse es in Zukunft Teil der Ausbildung von Pflegern wie Ärzten sein, Symptome von Missbrauch bei den Patienten zu erkennen.
Die Krankenkassen würden darüber hinaus für viele Leistungen nicht zahlen, die den Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtern würden, ergänzt Susanne Handrick, ebenfalls Mitglied des Netzwerks behinderter Frauen. So könnten Behinderte, die an Rheuma erkrankt sind, mit Physiotherapie erfolgreich behandelt werden – „trotzdem müssen die Frauen dafür beim Arzt regelrecht betteln“, sagt Susanne Handrick.
Heidi Kosche, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, unterstützte die Forderungen der Expertinnen. Am Mittwoch lädt ihre Fraktion zu einer Fachtagung über „Frauen und Mädchen mit Behinderung“ ein.
SVEN BEHRISCH