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Archiv-Artikel

„Ärzte sind überfordert“

FACHTAG ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis diskutieren neue Ansätze in der Pflege

Von EIB
Michael Löhr

■ 39, ist Pflege- und Gesundheitswissenschaftler und leitet am LWL-Klinikum Gütersloh die Abteilung Klinikentwicklung und Forschung.

taz: Herr Löhr, die Tagung heute heißt „neue Wege in der Pflege“. Welche sind dies?

Michael Löhr: Es geht um die Frage, wie wir langfristige Erkrankungen begleiten. Wegen des demografischen Wandels müssen wir uns bewusst werden, dass das Dogma der Heilung in der Medizin nicht mehr gelten kann.

Welche Erkrankungen meinen Sie?

Ich denke vor allem an Diabetes und Demenz.

Und wie müssen diese Krankheiten begleitet werden?

Die Betroffenen dürfen nicht nur als Patienten wahrgenommen werden, von denen der Arzt erwartet, dass sie sich so verhalten, wie er es von ihnen verlangt, sondern als Menschen mit einem Lebensverlauf, die außerdem Vater, Karrieremensch und Freund sind und bei denen die Krankheit mal mehr, mal weniger im Vordergrund steht.

Warum ist das so wichtig?

Weil Sie sie anders oft gar nicht erreichen. Wenn der Arzt sagt, „Sie nehmen Ihre Pillen gegen Bluthochdruck morgens, mittags, abends“, dann nicken die, gehen aus der Praxis raus und sagen: „die nehm ich nicht“.

Was ist die Lösung?

Wir brauchen statt einer arztzentrierten Struktur eine sektorübergreifende Versorgung, in dem auch die Finanzierung nicht auf zahlreiche Systeme aufgeteilt ist. An deren Schnittstellen entstehen nämlich immer wieder Lücken.

Und welche Rolle spielt dann noch der Facharzt?

Das ist das politisch Schwierige. Momentan kann in Deutschland nur der Arzt Leistungen auslösen, also Medikamente und Therapien verschreiben. Das ist jetzt schon in einigen Gegenden ein großes Problem, weil es dort auf 100 Kilometern nur noch einen Arzt gibt.

Wir brauchen mehr Ärzte?

Wir brauchen wie in England, Skandinavien und den Niederlanden eine Aufwertung der Pflegeberufe, die auch beinhaltet, dass diese Leistungen auslösen können.

Das wäre in Deutschland eine Revolution. Der Arzt ist allwissender und -mächtiger Gott in Weiß.

Ja, und damit völlig überfordert. Vor allem dann, wenn eine Heilung ausgeschlossen ist.INTERVIEW: EIB

Fachtag: 9. 3 , 17 Uhr, Haus im Park, Klinik Ost