Änderung des EU-Freizügigkeitsgesetzes: Sozialbehörden dürfen weiter helfen

Die Bundesregierung wollte Hartz-IV für schutzbedürftige EU-BürgerInnen an die Zustimmung der Ausländerbehörde knüpfen. Der Bundestag lehnt das ab.

Ein Kleinkind fährt auf seinem Fahrrad. Ein erwachsener Mensch hebt eines der Beine weit in die Luft, damit das Kind darunter durchfahren kann. Es ist Herbst. Das Kind trägt eine Weste und einen Helm.

Spagat machen für die Kinder: auch weiterhin ein Grund für Hartz IV Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Der Bundestag hat einen erschwerten Zugang schutzbedürftiger EU-BürgerInnen zu Hartz IV-Leistungen abgelehnt. Ein entsprechender Passus im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des EU-Freizügigkeitsgesetzes wurde gestrichen. Dafür setzten sich letztlich alle Fraktionen ein – außer der AfD.

Die Freizügigkeit der EU-BürgerInnen ist ein wichtiger Bestandteil des Binnenmarkts. EU-BürgerInnen können sich frei in anderen Staaten niederlassen, um dort zu arbeiten, zu studieren oder eine Ausbildung zu absolvieren. Auch der Bezug von Sozialleistungen schließt die Freizügigkeit nicht generell aus.

EU-BürgerInnen, die in Deutschland leben, können etwa dann Hartz IV erhalten, wenn sie zuvor bereits ein Jahr lang hier gearbeitet haben. Oder sie können ihr Einkommen mit Hartz IV aufstocken, wenn der Lohn als ArbeitnehmerIn oder der Verdienst als SelbständigeR nicht ausreicht. Allerdings besteht laut deutscher Gesetzeslage kein Anspruch auf Hartz IV, wenn jemand zur Arbeitssuche einreist oder wenn jemand sich ohne Bezug zu Arbeitsmarkt und Ausbildung hier aufhält.

Die Sozialgerichte haben allerdings auch in solchen Fällen immer wieder Hartz IV-Leistungen zugesprochen, wenn es der Schutz von Ehe und Familie gebietet oder weil es sonstige humanitäre Gründe gibt. In einem Grundsatzurteil von 2013 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Sozialbehörden dann „fiktiv“ prüfen müssen, ob ein sonstiges Aufenthaltsrecht besteht. Typisches Beispiel sind unverheiratete Paare, bei denen einE PartnerIn wegen einer Schwangerschaft oder der Betreuung von kleinen Kindern nicht arbeiten kann. Als „fiktiv“ gilt die Prüfung des Aufenthaltsrechts, weil die Sozialbehörden und die Sozialgerichte hierfür eigentlich nicht zuständig sind und deshalb auch keinen schriftlichen Aufenthaltstitel ausstellen können.

Nun wollte die Bundesregierung diese fiktive Prüfung des Aufenthaltsrechts abschaffen. Hartz IV sollte es in solchen Konstellationen nur noch geben, wenn ein echter Aufenthaltstitel von der zuständigen Ausländerbehörde vorliegt. Die Bundesregierung befürchtete offensichtlich, dass die Sozialbehörden zu großzügig sind.

In einer Sachverständigen-Anhörung haben am Montag jedoch die meisten Experten den Plan der Regierung kritisiert. Die parallele Zuständigkeit von Sozial- und Ausländerbehörden sei für die betroffenen EU-BürgerInnen zu kompliziert. Außerdem seien die Ausländerbehörden oft zu restriktiv oder sie verstehen die ganze Konstellation gar nicht. Ohne Hartz IV drohe schutzbedürftigen EU-BürgerInnen dann aber Verelendung und sogar Obdachlosigkeit.

Die Warnungen zeigten Wirkung. Nach der Anhörung verzichteten die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD auf die Verschärfung. Linke, Grüne und FDP unterstützten das am Mittwoch im Innenausschuss. Am Freitag wurde die Änderung des EU-Freizügigkeitsgesetzes dann im Bundestagsplenum abschließend debattiert und beschlossen.

„Wir haben die Abschaffung abgeschafft“, jubelte die SPD-Abgeordnete Sylvia Lehmann am Freitag bei der abschließenden Lesung im Bundestag. Auch die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke begrüßte es, dass der „extrem unsoziale“ Plan „in letzter Sekunde noch zurückgenommen wurde“. Jelpke hatte sich besonders stark für eine Änderung des Gesetzentwurfs eingesetzt. Selbst die CDU/CSU stimmte für die ersatzlose Streichung des Regierungsvorschlags. Der CDU-Abgeordnete Detlef Seif begründete das so: Weil die fiktive Prüfung des Aufenthalts durch Sozialbehörden sinnvoll ist, müsse sie gesetzlich näher ausgestaltet werden. Der richtige Ort sei dann aber nicht das EU-Freizügigkeitsgesetz, sondern das Sozialrecht.

Aufenthaltsrecht für BritInnen

Hauptanlass der nun beschlossenen Änderung am EU-Freizügigkeits-Gesetz war der Brexit. In Deutschland leben fast 100.000 BritInnen, die nach dem EU-Austritt von Großbritannien ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren drohten. Sie sollen nun aber automatisch ein neues Aufenthaltsrecht für Deutschland erhalten und müssen hierfür nicht einmal einen Antrag stellen. „Es geht hier um überzeugte Europäer“, sagte CDU-Mann Seif zur Begründung, „wir dürfen sie nicht in Sippenhaft nehmen für den großen historischen Fehler des Brexits.“

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