Ägyptischer Kulturkampf: Die Beerdigung der Meinungsfreiheit
■ Die Anwälte von Abu Said und Ibtihal Junis wollen die Zwangsscheidung nicht hinnehmen. Sie kämpfen auf verlorenem Posten: Ägyptens Regierung scheut die Konfrontation mit den Islamisten
Es herrscht ein Gefühl der Ohnmacht in den Kreisen liberaler ägyptischer Intellektueller. Erst langsam finden sie ihre Sprache, wenige Tage nach dem absurden Urteil des ägyptischen Kassationsgerichts gegen den Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Said. Das Gericht hatte am Montag in letzter Instanz die Zwangsscheidung zwischen Abu Said und der Romanistikprofessorin Ibtihal Junis ausgesprochen. Damit bestätigte das höchste Gericht überraschend die Ansicht islamistischer Anwälte, nach der Abu Said aufgrund seiner Schriften als ein vom Islam Abtrünniger anzusehen sei und daher nicht mit einer muslimischen Frau verheiratet sein dürfe.
Nach der Urteilsverkündung herrschte bei den Anwälten Abu Saids Resignation. „Uns bleibt nur noch übrig, eine Begräbnisfeier für die Meinungsfreiheit in Ägypten abzuhalten. Das Urteil schaltet das letzte Licht in diesem Land aus“, erklärte Abdal Asis Mu. Wenige Tage später entschieden sich die Strafverteidiger, trotz allem noch einmal in die Offensive zu gehen. Am Donnerstag kündigten sie an, daß sie das oberste ägyptische Kassationsgericht verklagen werden, denn dessen Richter hätten bei der Behandlung des Falls Abu Said „ernsthafte professionelle Fehler begangen“, so die Anwältin Muna Sulfikar. Große Aussicht auf Erfolg hat der Schritt freilich nicht.
Unmut wurde auch über die Rolle der Regierung laut. Der Chef der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EOHR, Muhammad Munib, forderte den ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak auf, nun endlich eine Debatte um die intellektuelle Krise Ägyptens zu beginnen. Das Zentrum für Menschenrechte und Rechtsberatung forderte, daß die Regierung nun endlich ihrer Verantwortung gerecht werden solle, die akademische Freiheit und die Meinungsfreiheit gegen den Druck islamistischer Gruppen zu verteidigen.
Hinter den Kulissen berichten Vertreter des Justizsystems, Mubarak habe nach dem Urteil völlig verärgert seinen Justizminister angerufen. Der wiederum habe anschließend eine Reihe prominenter Anwälte zu einer Krisensitzung versammelt.
Moderate Islamisten, wie der Journalist Fahmi Huwaidi, sprachen sich erneut gegen die Anklage und die Zwangsscheidung aus. Die ganze Angelegenheit habe solche Ausmaße erreicht, weil in der ägyptischen Gesellschaft die eine Seite nicht mehr mit der anderen spreche, erklärte Huwaidi gegenüber der Wochenzeitung al-Dustur.
Andere Islamisten, wie der ehemalige Verteidiger der militanten Islamisten, Muntasir Sajad, begrüßten das Urteil dagegen „im Interesse der Gesellschaft“. Für Sajad ist nicht nur Abu Said ein Apostat. Auch seine Frau Ibtihal Junis habe sich durch ihr Festhalten an ihrem Ehemann vom Islam abgewandt.
Abdal Samada Abdal Samad, der klagende Anwalt im Fall Abu Said, gab sich nach seinem Sieg zuversichtlich. Er kündigte an, die Kairoer Universität, den offiziellen Arbeitgeber Abu Saids, der inzwischen im holländischen Exil lebt, höchstpersönlich von dem Urteil zu informieren, damit der Abtrünnige in Zukunft von allen Vorlesungen und Lehrveranstaltungen ausgeschlossen werde. Karim El-Gawhary
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