: Administriertes Bauernsterben in Osteuropa
■ Unsichere Besitzverhältnisse und Streichung von Subventionen belasten den Agrarsektor/ Verminderung der Produktion und der bebauten Flächen
Wien. Die Unsicherheit über das Ausmaß der Privatisierung des Grundbesitzes und die Streichung der Agrarsubventionen hat die Landwirtschaft in den osteuropäischen Ländern in eine tiefe Krise gestürzt. Die Privatisierung im Rahmen marktwirtschaftlicher Reformen verunsichert nicht nur kollektive Betriebe. Notwendige Investitionen werden nicht vorgenommen, und bis zu 70 Prozent der Flächen bleiben unbebaut.
Außerdem haben die neuen Führer in Osteuropa nach Ansicht von Zdenek Lukas, Agrarexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, offenbar übersehen, daß die Bauern im Westen Subventionen, Steuerbegünstigungen oder direkte Beihilfen erhalten. Lukas' Ansicht nach wird der Agrarsektor in Osteuropa vor allem durch die „schnelle und unüberlegte“ Streichung der Subventionen bei gleichzeitig ständig steigenden Kosten schwer belastet. Die Folgen könnten eine „brutale Verminderung der Produktion und der bebauten Flächen“ sein. Während in Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien die Subventionen im Agrarbereich erheblich gekürzt wurden, strich die tschechoslowakische Regierung sie vollständig. Das Parlament in Prag verabschiedete zudem Ende Mai ein Gesetz, nach dem 70 Prozent der nach dem Zweiten Weltkrieg kollektivierten Grundstücke den früheren Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben werden sollen. Das sind rund 4,7 Millionen Hektar.
Was mit den Genossenschaften und Staatsbetrieben geschehen soll, die derzeit rund 96 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche bewirtschaften, ist hingegen noch nicht geklärt. Nach Schätzungen von Experten des Wiener Institutes für Internationale Wirtschaft gefährdet in der CSFR die Verteuerung von landwirtschaftlichen Maschinen, Treibstoff, Saatgut und Krediten die Existenz von 30 bis 40 Prozent der Agrarbetriebe. In Ungarn ist derzeit überhaupt kein Gesetz für die Landreform gültig. Das Oberste Gericht hob das Gesetz von Ende April zur Entschädigung der enteigneten Eigentümer auf. Noch hat die konservative Regierung keinen neuen Entwurf vorgelegt, die Gerichtsentscheidung jedoch kritisiert: Es bestehe die Gefahr, daß die Lösung des Konfliktes um den Grundbesitz und damit die Privatisierung erheblich verschleppt werde. Durch die ungewisse Zukunft werden Kleinbauern und Kooperativen verunsichert. Vor allem in der Milchwirtschaft macht sich das Ausbleiben notwendiger Investitionen bereits bemerkbar. In Bulgarien und Rumänien sind die rechtlichen Grundlagen für eine Verteilung des Bodens bereits seit Februar geschaffen, doch blieb ein positiver Effekt bis heute aus. In Rumänien geht die Umverteilung des Eigentums nur schleppend voran. Nach Augenzeugenberichten nehmen viele Bauern das Recht selbst in die Hand und Grundstücke in Besitz, die ihnen nach dem Gesetz gar nicht zustehen. Regierungssprecher Bogdan Baltazar gestand ein, daß von 9,5 Millionen Hektar Ackerboden lediglich vier Millionen im vergangenen Herbst eingesät wurden.
In Bulgarien hat die Rückkgabe des enteigneten Bodens Konflikte in den Dörfern geschaffen. Die drastischen Preiserhöhungen von Treibstoff und landwirtschaftlichem Material boten den Bauern keinen Anreiz, ihre Felder zu bewirtschaften. Das wurde im Frühjahr offensichtlich: Um 70 Prozent ging die mit Getreide bebaute Fläche zurück, die für Kartoffeln um 65 Prozent und die für Tomaten um 45 Prozent. In Polen ist das Problem der Umverteilung des Bodens weniger zentral, die Bauern waren unter dem kommunistischen Regime zum größten Teil Eigentümer ihrer Äcker. Doch auch hier schaffen Subventionsstreichungen Absatzschwierigkeiten, vor allem da gleichzeitig die Zölle für Agrarprodukte aus dem Westen reduziert wurden. Die teueren polnischen Agrarprodukte von meist schlechterer Qualität können mit den subventionierten westlichen Waren nicht konkurrieren. Jean Burner/afp
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