piwik no script img

Adieu, Baptiste!

Beerdigung des französischen Schauspielers und Regisseurs Jean-Louis Barrault / Hunderte von Schauspielern gaben ihm das letzte Geleit  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Jean-Louis Barrault ist tot. Er starb am Samstag, 83jährig, an einem Herzschlag. Jetzt liegt er in diesem hellbraunen Holzsarg mit Kreuz vor dem Altar von Saint- Pierre-de-Chaillot. Darüber stapeln sich üppige hellrosa-weiße Blumensträuße. Doch die Trauernden in der Kirche im vornehmen Pariser 16. Arrondissement haben keinen alten Mann vor Augen. Sie alle haben ihn gestern noch einmal als Baptiste im Fernsehen gesehen – diesen größten aller französischen Pantomimen. Barrault hat diese Rolle 1944 gespielt. Seither klebt sie an ihm wie eine zweite Haut. Für immer wird Barrault so jung bleiben wie der Baptiste in den „Kindern des Olymp“. So jung, so zärtlich, kräftig und träumerisch und so voller Liebe.

„Er war ein Vater, wir waren eine Familie“, sagt der alte Spanier, der zehn Jahre lang das letzte Theater von Barrault und seiner Gefährtin Madeleine Renaud, dem „Rond-Point“ in Paris, geputzt hat. „Er war mein Idol. Gleich nach der Befreiung habe ich ihn zum ersten Mal gesehen – danach immer wieder“, sagt die Bäuerin, die jetzt als Rentnerin in Paris lebt. „Er war streng, aber sehr sympathisch“, sagt der schlohweiße alte Schauspieler, der 1952 einmal mit Barrault zusammengearbeitet hat. „Er war ganz auf das Theater konzentriert, ich habe ihn gemocht“, sagt die Tänzerin, die Anfang der 80er Jahre auf der Bühne des „Rond-Point“ stand. „Er war ein Gaukler wie ich“, sagt der 68jährige Mann, der seine Augenbrauen und seinen Schönheitsfleck mit einem breiten Farbstift ausgemalt hat.

Hunderte von Schauspielern geben Barrault an diesem Montag morgen das letzte Geleit. Viele von ihnen sind selbst im Rentenalter. Für junge Franzosen ist Barrault allenfalls ein Mythos. Sie kennen ein paar seiner Dutzenden von Filmen, haben vielleicht das eine oder andere Theaterstück gesehen. Seit Barraults letztem Auftritt sind über zehn Jahre vergangen. Er ging zwar noch täglich in sein Büro im „Rond-Point“, doch er war keine öffentliche Person mehr.

Auch zahlreiche Politiker sind zu der Beerdigung gekommen – Sozialisten wie Konservative. Wenn es um Barrault geht, ist Frankreich einig: ein großer Mann, ein Meilenstein in der Theatergeschichte.

Das war nicht immer so. 1966 führte seine Inszenierung des Genet-Stücks „Wände überall“ zu einem politischen Eklat. Rechtsradikale und alte Algerienkämpfer protestierten im Odeon-Theater gegen die „Entwürdigung“ der französischen Algerien-Politik. „Das Stück geht weiter“, entschied Barrault damals und schickte seine Gegner auf die Straße. Wenig später hatte er den nächsten – für ihn persönlich viel folgenreicheren – Eklat. Im Mai 1968 besetzten Studenten seine Bühne. Als der Theatermann sich weigerte, ihnen den Strom abzustellen, schmiß Kulturminister André Malraux ihn raus.

Jahrelang zog Barrault als Regisseur und Schauspieler durch die Welt. Bilder an den Wänden des „Rond-Point“ weisen auf die zurückgelegten Tausenden von Theater-Kilometern hin. Barraults Repertoire umfaßte Molière, Kafka und Beckett. Er arbeitete mit beinahe allen französischen Künstlern dieses Jahrhunderts irgendwann einmal zusammen.

Madeleine Renaud war immer dabei. Renaud, die 10 Jahre ältere, damals schon erfolgreiche Schauspielerin und der unbekannte Bohemien Barrault hatten sich 1936 bei den Dreharbeiten für „Hélène“ kennengelernt. Seither blieben sie zusammen. Die Liebe der beiden ist vielen Franzosen heute bekannter als ihre Theaterarbeit. Noch vor wenigen Monaten sagte Barrault, als ihn eine Freundin fragte, ob er Fernsehen gucke, „Nein. Ich gucke Madeleine an.“

Gestern saß Madeleine zum letzten Mal neben ihm. Für die kleine Frau war ein roter Samtsessel mit goldenem Rand neben den Sarg gestellt worden. Anschließend geleitete die immer noch schöne 93jährige ihren Mann auf den Friedhof von Passy.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen