Adam Tooze über den Banken-Crash: „Gleichzeitig lebendig und tot“

Die Bankenpolitik steckt im permanenten Krisenmanagement, sagt Ökonom Adam Tooze. Doch eine labile Wirtschaft sei nicht zwangsläufig krisenhaft.

Eine Bankkarte wird zerschnitten

Washington 2023: Ein Aktivist zerschneidet eine Kreditkarte unter dem Motto „Stop Dirty Banks“ Foto: Alex Brandon/AP

taz: Herr Tooze, der Ursprung der internationalen Bankenkrise ist die Silicon Valley Bank (SVB) in Kalifornien. Sie hatte zu viele Staatsanleihen gekauft, die sie mit großen Verlusten abstoßen musste. Eigentlich hatte die Bank sich mit dem Vorgehen absichern wollen. Zu viel Sicherheit anstreben – das ist kein ungewöhnlicher Grund für einen Bankencrash, oder?

Adam Tooze: Ja, dieser Krisenbeginn hat etwas Ironisches. Weil die Fed, die US-Notenbank, die Zinsen schnell erhöht hat, verloren diese Anleihen an Wert. Das zeigt: Im internationalen Finanzsystem existiert kein Ort ultimativer Sicherheit.

Ist der Crash der Silicon Valley Bank das Ergebnis eines handwerklichen Fehlers – oder ein systemischer Effekt?

Ein handwerklicher Fehler. Die SVB hat 2021 für 100 Milliarden Dollar Staatsanleihen gekauft. Das einzige Risiko dabei war: Die Zinsen können steigen. Und dieses Risiko ist umso größer, je länger die Anlagen laufen. Die Bank hat für zig Milliarden zehnjährige Anleihen gekauft – und zwar ohne Rückversicherung. Das war fahrlässig.

Also einfach dumm gelaufen?

Ja, aber es war ein kollektives Versagen. Dass die Bankenaufsicht nichts getan hat, ist schwer fassbar. 97 Prozent der Kunden der Bank waren Firmen ohne Depositenversicherung. Netflix lagerte Milliarden unverzinst bei der Bank. All diese Firmen haben Chief Financial Officers, die eigentlich jeden noch so kleinen Zinsgewinn herausholen. Dass all diese Firmen Milliarden bei der SVB auf Halde hatten, ist rational schwer verständlich. Die Leute sind ja nicht dumm. Sie waren nur auf anderes konzentriert, das mehr zählte.

Nämlich?

Das Netzwerk rund um diese Bank. SVB war das Insider-Institut des Silicon Valley. Führend waren die mächtigen Venture-Capital-Firmen, die mit SVB verklüngelt waren.

Trägt die rasante Zinserhöhung der Fed eine Mitschuld?

Die Zinserhöhungen haben Druck auf die Wertpapierportefeuilles ausgeübt. Aber die Fed hat getan, was eine Zentralbank angesichts dieser Inflationsrate eben tut. Nicht zu reagieren, war ausgeschlossen. Die festverzinslichen Märkte erleiden dabei einen Schaden. Sie reagieren aber auch sensibel, wenn nicht der Zins, sondern die Inflation steigt. Das ist immer eine Gratwanderung.

Also ein Kollateralschaden?

Der Sinn und Zweck der Zinserhöhungen ist es, die Konjunktur zu bremsen und damit die Inflation. Die US-Wirtschaft läuft immer noch auf Hochtouren. Da kommt eine Krise nicht unbedingt ungelegen. Sie entschleunigt die Wirtschaft in Kalifornien ja ziemlich schnell. Das heißt nicht, dass diese Krise beabsichtigt war. Sie trifft sehr einflussreiche Leute, ein zentrales innovatives Zentrum nicht nur der US-Wirtschaft, sondern der globalen Ökonomie. Dieses Zentrum lahmzulegen ist bestimmt nicht im Interesse einer sogenannten weichen Landung.

Die Fed hat die Zinsen jetzt nochmals erhöht. Ist das klug?

Nur minimal, um 25 Basispunkte. Das ist nicht ausschlaggebend. Es zeigt die Richtung an. Die Fed marschiert im Schulterschluss mit dem EZB.

Nun stehen noch mehr US-Regionalbanken auf der Kippe. Ist das noch ein Einzelfall oder schon eine systemische Krise?

ist britischer Wirtschaftshistoriker. Er hat mehrere Bücher zur Wirtschaft im Nationalsozialismus geschrieben und betreibt den Podcast „Ones & Tooze“.

Das ist so wie bei dem berühmtem Experiment Schrödingers Katze. Es gibt Zustände, die nicht unterscheidbar sind. Die Katze ist in diesem Experiment gleichzeitig lebendig und tot. Wir haben es hier analog mit einem Einzelfall und mit strukturellen Problemen der US-Wirtschaft zu tun, die fatal sein können. Es kann einen Impuls geben, der zum Kipppunkt wird. In den Bilanzen US-amerikanischer Banken gibt es über 600 Milliarden Dollar an nicht realisierten Verlusten. Das ist viel, muss aber nicht fatal sein. Entscheidend ist, ob ein Impuls die Banken zwingt, diese Verluste zu realisieren. Dann wäre ein Bank Run kaum zu vermeiden.

Um noch einen Bankcrash zu verhindern, können US-Banken, die in die Bredouille kommen, nun Staatsanleihen bei der US-Zentralbank ohne Verluste gegen Geld tauschen. Ist das richtig?

Das ist ein außergewöhnliche Mittel. Damit wird faktisch der wichtigste Finanzmarkt der Welt, der Markt für US-Staatsanleihen, radikal manipuliert. Das zeigt abermals: Es gibt in diesem System nichts Heiles, Sicheres. Es gibt derzeit keinen Ort der Unschuld. Sich da Illusionen zu machen, kann äußerst gefährlich sein. Man muss versuchen, mit dieser unsicheren Realität umzugehen.

Dass die Zentralbank faktisch die Anleihenverluste abpuffert, ist ein sehr pragmatisches Vorgehen gegen die Krise …

Ja, und es ist richtig. Aber es hat einen Preis: Extrem risikoreiches, fahrlässiges Verhalten wird nicht bestraft. Alle anderen Banken in den USA müssen diese Fehlbeträge decken. Faktisch werden die Kunden von irgendwelchen kleinen Banken in Oklahoma für diese Ausfälle aufkommen. Das ist das Gebot des Pragmatismus. Aber es stellt die Legitimation der Geldordnung infrage.

Eine Konsequenz der Bankenkrise 2008 war es, die Eigenkapitalquote der Banken zu erhöhen. Sie sollten damit widerstandsfähiger werden – und weniger Anreize haben, zu hohe Risiken einzugehen. Jetzt ist in der Schweiz die Crédit Suisse kollabiert, die eine sehr hohe Eigenkapitalquote von 14 Prozent hatte. War die Schlussfolgerung aus der letzten Bankenkrise falsch?

Nein, das greift zu kurz. Die SVB war so verletzlich, weil sie eine sehr niedrige Eigenkapitalquote hatte. Der Zusammenbruch der Crédit Suisse ist ein besonderer Fall. Die Bank bedient in der Vermögensverwaltung vor allem große Kunden. Im letzten Quartal 2022 haben diese Kunden 100 Milliarden Euro abgezogen, 2023 womöglich noch mehr. Gegen einen solchen Vertrauensverlust hilft auch keine Eigenkapitalquote von 20 Prozent. Sie kann auch dann keinen Bank Run überstehen.

Nach der Fusion mit der UBS hat die neue Bank, die die NZZ „ein Monster“ nennt, jetzt eine Bilanzsumme von 1,7 Billionen Dollar. Das ist doppelt so viel wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Ist das vertretbar?

Die Schweizer haben das ganze Regelwerk über den Haufen geworfen. Diese neue Bank ist für die Schweiz von überwältigenden Größe. Hinzu kommt, dass die Nationalbank absolut aberwitzige Mengen an ausländischen Währungen angehäuft hat, um den Kurs des Schweizer Franken zu drücken. Die Schweiz ist eine vollends manipulierte Volkswirtschaft mit enormen Risiken.

Wäre eine Verstaatlichung der Crédit Suisse die bessere Alternative gewesen?

Nicht unbedingt. Eine Verstaatlichung wäre nur sinnvoll gewesen, wenn man annimmt, dass man bei der Restrukturierung für Teile der Bank andere Käufer findet und dabei unter dem Strich die Steuerzahler besser wegkämen. Schwer zu sagen, ob das möglich gewesen wäre.

Diese Fusion von Credit Suisse und UBS macht den Eindruck, dass man hier Feuer mit Öl löscht …

Aber mit Schweröl. Schweröl ist im Prinzip brennbar, man muss sich aber Mühe geben. Das ist ein Unterschied zu 2008. Da hat man zum Teil Benzin in das Feuer gekippt.

Welche politische Schlussfolgerung sollten wir aus dieser Krise ziehen? Brauchen wir eine echte Trennung zwischen Banken, die Geld verleihen, und Hochrisiko-Investmentbanken? Und ist das durchsetzbar?

Diese Bereich zu trennen, wäre absolut sinnvoll und würde die Ansteckungsgefahren in Krisen reduzieren. Es gab genau diese Forderung auch schon nach der Krise 2008, aber die Widerstandskräfte gegen diese radikale Trennung waren in der Branche zu groß. Ich fürchte, dass das heute nicht anders ist. Also, sinnvoll – ja. Realistisch – nein.

Wenn keine Reform möglich ist, die verhindert, dass aus Einzelfällen systemische Krisen werden: Ist das globale Finanzsystem dann einfach zu komplex, um nicht störanfällig zu sein? Und wir müssen uns einfach daran gewöhnen?

Ich bin da skeptisch. Komplexität ist ein Problem. Aber diese Krise ist bislang nicht komplex, sondern banal. Jeder Absolvent eines Bankstudiums hätte erkannt, dass die Silicon Valley Bank eine haltlose Strategie hatte. Die Aufsichtsbehörden haben einfach versagt.

Also mehr Kontrolle?

Ja, und noch etwas anderes. Wir brauchen einen Sinneswandel. Es gibt immer noch das Denken, dass nach der Krise 2008 nun wieder alles normal geworden sei. Das ist naiv. Wir stecken in einem permanenten Krisenmanagement. Wir brauchen das Bewusstsein eines permanenten Stresstests, in dem ständig hypothetisch nach den Risiken gefragt wird. Wir müssen uns Normalitätsdenken grundsätzlich abgewöhnen

Also: Es gibt keine Normalität. Die Krise ist die Normalität?

Diese Labilität bedeutet nicht, dass immer und ständig Krise ist. Mir fällt dazu nur ein Bild ein: Jemand, der mit mehreren Koffern, Einkaufstaschen und zwei Kindern beladen Fahrrad fährt. Das kann gut gehen. Und wenn, dann ist das eine supereffiziente Art sich fortzubewegen. Aber es klappt nur, wenn man extrem aufpasst. Und es gibt Szenarien, die man bereuen könnte.

Kanzler Scholz sagt, dass für das deutsche Bankensystem keine Gefahr besteht. Das muss er sagen, um Vertrauen zu signalisieren. Aber hat er damit auch recht?

Ja. Viele deutsche Banken hatten nach der Krise 2008 massive Probleme. Auch die Deutsche Bank spielt global nicht mehr die Rolle, die sie hatte. Und sie scheint im Moment auch nicht mehr so gefährdet zu sein wie damals.

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