: Achtung: Hier spricht Dagobert!
Einst beschäftigte sich Arno Funke alias Dagobert mit modernster Geldübergabetechnik. Im Knast ist derlei Kreativität nicht gefragt. Der ehemalige Kaufhauserpresser: „Das kann nur am System liegen.“
Der unbescholtene Bürger, der nichts mit der Justiz am Hut hat, glaubt, daß die Strafe für ein Vergehen, das mit Gefängnis geahndet wird, im Entzug der Freiheit liegt.
Denkste! Die eigentliche Strafe ist der tägliche, nicht zu vermeidende Umgang mit einer staatlichen Verwaltung. Allgemein sagt man den Behörden mangelnde Bürgernähe nach und daß der Amtsschimmel, der durch die Büros geloppiert, so manchen Apfel fallen läßt, auf dem dann der Bürger unvermutet ausglitscht.
Vermutlich läßt sich der eine oder andere Nervenzusammenbruch, der in einer „Klapsmühle“ therapiert wird, auf einen Behördengang zurückführen.
Der/die Normalbürger/in hat wenigstens die Möglichkeit, ein Amt fluchtartig zu verlassen, um im Suff das Vergessen zu suchen. Ich armer „Erpel“ sitze aber gefangen in meiner Fünfquadratmeterzelle und werfe eine rosa Pille nach der anderen ein, um das alles ertragen zu können.
„Was, sechzig Mark für eine Blume?“ Die bildhübsche Blumenverkäuferin antwortet mir nicht, sondern küßt mich zärtlich auf den Mund. Ratsch. Das Krachen des Türschlosses, das Herumwirbeln des schweren Schlüsselbundes mit seinem schrillen Rasseln, reißt mich aus meinen Träumen. 6.30 Uhr, Aufschluß und Lebendkontrolle. Müde hebe ich meinen Arm zum Gruß. „Okay, Funke lebt noch.“
Der Vollzugsbeamte ist zufrieden und knallt den Schlüssel in die nächste Tür.
Verschlafen pelle ich mich langsam aus meinem Bett. „Jetzt einen Liter Kaffee, am besten intravenös“, ist wie immer mein erster Gedanke. Während ich den Kaffee brühe, zähle ich Auftragsformulare (Vormelder), fünf Stück, das müßte für heute reichen. Im Gefängnisalltag benötigt man für alles Vormelder: Arzt, Einbringung, Aushändigung, Besuch, Pakete, Aktivitäten und so weiter. Vormelder halten den Knastbetrieb in Gang. Sie sind Information, Botenstoff und Nachrichtenverbindung zwischen Gefangenem und Beamten. Ich trinke meinen Kaffee und lasse die Ereignisse der letzten Wochen Revue passieren:
Vor einem Monat saß ich im Büro des Gruppenbetreuers und erklärte: „Also, die Sache ist so, vor vier Wochen stellte ich einen Antrag auf Taschengeld, seitdem habe ich nichts mehr gehört, keine Ablehnung, keine Zusage, nichts!“
„So so, nichts gehört“, der Beamte reibt sich das Kinn, „na dann werde ich mal anrufen, am besten die Zahlstelle.“
Es stehen mir Tränen der Rührung in den Augen, ein Beamter, der sich für mich einsetzt, wie schön.
Er spricht in den Hörer: „Was? Wie? Sie sind nicht zuständig? Apparat X?“ Apparat X: „Was? Wie? Entweder Apparat Y oder Z?“ Apparat Y: „Geht keiner ran.“ Apparat Z: „Was? Wie? Sie können nichts finden? Sie sind im Streß? Ja, also Herr Funke, vielleicht gedulden Sie sich noch ein bißchen!“
Ich übte mich in Geduld und sprach einen Monat später noch einmal vor. Diesmal eine Gruppenleiterin: „Es könnte sein, daß Sie kein Geld bekommen, weil Sie von dem Taschengeld, das Sie in Moabit erhielten, achtzig Mark gespart haben. Sparsamkeit wird hier nicht belohnt.“
Eine andere Gruppenleiterin: „Ich glaube, die sind da überlastet, es ging da einiges durcheinander, warten Sie noch.“
Ein paar Tage später beim „Stationer“ (Gruppenbetreuer): „Kein Geld, weil Sie gespart haben? Das ist mir neu!“ Er greift zum Telefon, spricht und erklärt mir: „Beim ersten Antrag haben Sie zu lange gewartet, der ist inzwischen verfallen, da gibt es jetzt kein Geld mehr. Den Antrag vom September noch mal neu stellen!“ Ich griff mir ein neues Antragsformular und sagte: „Da ist noch etwas, was mich wurmt.“ Vor acht Wochen hatte ich ein Jahrespaket beantragt, das auch genehmigt wurde. Ich fragte damals mehrere Beamte, wann solch ein Paket in die Anstalt eingebracht werden darf. Einhellige Meinung: Während der Besuchszeiten.
Mein Spezi kam an einem Sonnabend zu Besuch. Ein Beamter erklärte nun, daß Jahrespakete nur Montag bis Freitag während der Besuchszeiten eingebracht werden dürfen.
Ein paar Wochen später, neuer Anlauf. Freitag 11 Uhr Besucherbüro, der Staatsdiener verweist ihn Haus 38, Poststelle.
Dort erklärte ihm eine Beamtin, daß Jahrespakete nur bis 10 Uhr angenommen werden. „Verdammt noch mal, woher soll ich das wissen!“ protestierte mein bedauernswerter Kumpel. Und die Beamtin verweist auf einen kleinen, für Besucher kaum sichtbaren Zettel an der Tür. Mein gequälter Freund brachte das Paket fluchend zurück zum Auto, um anschließend wieder zum Besucherbüro zu stapfen. Es täte ihm leid, sagte der Beamte, er seie fünf Minuten über dem Zeitlimit, er müsse sich einen neuen Termin geben lassen.
„Aber ich war doch vor 15 Minuten bei Ihnen, Sie wissen doch, mit dem Paket, ich bin schwer herzkrank, hier mein Invalidenausweis!“ Da sei nichts zu machen. Meinte der Beamte. Und seinem dritten Herzinfarkt nahe, fuhr mein gepeinigter Kumpel nach Hause.
Später hatte ich fünf Beamte gefragt inkl. Gruppenleiter und stellv. Teilanstaltsleiter, keiner wußte etwas von einer 10-Uhr-Regelung. „Nur bis 10 Uhr? Ist mir neu!“ War immer die gleiche Antwort.
„Hiermit beantrage ich die Einbringung und Aushändigung eines Radios.“ Die junge Gruppenleiterin schüttelt den Kopf. „Zuviel, das ist zuviel“, sagt sie mir lächelnd, „erst einen Antrag auf Einbringung stellen, einbringen lassen, und wenn das Gerät da ist, einen Antrag auf Aushändigung. Beides auf einen Vormelder packen die nicht.“ Sie streicht das Wort „Aushändigung“ durch und reicht mir noch zwei Formulare mit den Worten: „Das eine ist völliger Quatsch, da streichen Sie alles durch und unterschreiben. Das andere unterschreiben Sie auch, das ist eine Anmeldung, wie auch gleichzeitig Befreiung von der GEZ. Is' halt Vorschrift.“
Zwei Wochen später frage ich einen Beamten, was mein Antrag auf Einbringung eines Radios macht. Der Staatsdiener, ein ruhiger, korrekter im Bonsaiformat, sagte: „Der Antrag geht ans Haus 38 und bleibt dort liegen.“ „Kann also eingebracht werden?“ „Glaube schon.“ Jemand versuchte einzubringen, wurde aber abgewiesen. Ich watschle diesmal zu einer netten, gutaussehenden Gruppenbetreuerin.
„Es muß doch eine Möglichkeit geben zu erfahren, wann ein Antrag genehmigt im Haus 38 liegt?“ „Im Prinzip schon, Sie bekommen normalerweise eine Rückmeldung. Klappt aber nicht immer. Am besten, Sie stellen einen neuen Antrag, am besten immer Anträge stellen, bis eine Antwort kommt.“ Eine Woche später, wieder ein anderer Gruppenleiter (ständiger Wechsel durch: Krankheit, Urlaub, Beförderung, Versetzung). „Also!“ sage ich: „Vor einer Woche – etc.pp. – was ist aus meinem Antrag geworden?“ Dynamisch greift er zum Telefon: „Was? Wie? Sie wissen von nichts? Also, Herr Funke, stellen Sie am besten einen neuen Antrag.“ „Antrag Nr. 3?“, frage ich. „Ist das normal?“ Betretenes Schweigen.
Ich hatte vor acht Wochen auch einen Antrag auf Einbringung von Zeichenmaterial gestellt. Damals saß ich bei meinem Lieblingsbeamten im Büro, er nickte mir wohlwollend zu: „Kein Problem, Herr Funke!“ So was hört man gern. Eine Woche später: „Es ist soweit alles genehmigt. Die Leitung möchte nur noch eine Liste beigefügt haben mit den von Ihnen bestellten Materialien.“ „Kein Problem, Herr Lieblingsgruppenleiter.“
Wochen später bei einer Gruppenleiterin. „Wissen Sie etwas über meinen Antrag auf Materialeinbringung?“ „Augenblick mal, ich rufe an.“ Gespannt beobachte ich ihre Bemühungen, sie legt den Hörer wieder auf. „Und, was ist?“ „Ja, da weiß wohl keiner so richtig Bescheid, tut mir leid, vielleicht später noch mal.“ Ich beschließe einen Vormelder an die Teilanstaltsleiterin zu schreiben: „Bitte um Aufklärung!“
Gestern saß ich bei einem altgedienten Beamten im Büro, der sich für Häftlinge noch immer Zeit nimmt und engagiert ist. Ich schildere ihm meinen Frust: Daß es im ganzen Knast anscheinend keinen Bediensteten gibt, der Bescheid weiß, daß die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, daß es keinen Informationsfluß gibt und daß dadurch Willkür um sich greift. Einzelne unwissende Beamte sind normal. Aber alle?! Das kann nur am System liegen und an der Führung!
Langsam nimmt er seine Brille ab und schaut mir traurig in die Augen: „Ich arbeite seit zwanzig Jahren hier, das ist mir alles nicht neu, Herr Funke. sie werden in drei Jahren diesen Hort der Ignoranz verlassen. Aber ich werde hier weiter meinen Dienst schieben müssen.“
Ich erkenne, auch er ist eine gequälte Kreatur, und füge leise resignierend eine Frage an: „Wird es durch die Verwaltungsreform besser werden?“ Ein endlos tiefer Seufzer: „Das wäre mir neu!“
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