: Acht Zentimeter als Erfolg
Ausgerechnet zum Jahrestag des Mauerbaus wird in Prenzlauer Berg eine neue Mauer gebaut. Genauer gesagt: einen Tag vorher und nur als Zaun im Garten. Dennoch wird die Polizei gerufen
von SEBASTIAN HEISER
Hegel sagt: Wenn die Geschichte sich wiederholt, dann als Farce. Hill sagt: Wenn sie die Mauer wieder aufbauen, dann nicht durch meinen Garten. Phil Hill wohnt seit kurzem in einer Erdgeschosswohnung in Prenzlauer Berg. Vor 42 Jahren hat die DDR eine Mauer durch Berlin gebaut. Heute baut die Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP) eine Mauer durch den Garten vor Hills Wohnung im Hof. Dazu muss man wissen: Quer durch diesen Garten verläuft die Grenze zwischen Hills Grundstück und dem der WIP. Und die Mauer, von der Hill spricht, ist nur ein Zaun. Aber der ist zwei Meter hoch und die DDR-Mauer hieß ja auch Mauer, obwohl sie teils kaum mehr als ein Zaun war.
Der Innenhof ist ein typischer Kiezhof mit Wiese, viel Gestrüpp, Bänken und einem Sandkasten. Der Streifen an den Häusern gehört den jeweiligen Eigentümern, der große Bereich in der Mitte gehört der WIP. Die zäunt nun ihr Grundstück ein. Hill will keinen Zaun vor seinem Fenster. Die WIP will die Anwohner davor schützen, dass die Bälger aus dem Kindergarten im Hof in den Hintergärten spielen und allerlei Faxen machen – quasi ein antifaxistischer Schutzwall. Doch Hill stören die Kinder gar nicht. Also ist in Prenzlauer Berg der Kalte Krieg wieder ausgebrochen.
Damals war der Sozialismus der böse Aggressor. Diesmal ist es die Kapitalgesellschaft WIP. Damals ging es um die Aufteilung der Welt. Diesmal geht es um den Innenhof zwischen Sredzki-, Husemann-, Wörther und Knaackstraße. Damals hatten die beiden Blöcke eigene Ministerien, die mit Information und Desinformation beschäftigt waren. Diesmal muss Hill selbst das Flugblatt schreiben, auf dem er vom „Ordnungswahn“ der WIP schreibt, die „die nachbarschaftliche Gemeinschaft zerschlagen“ wolle, um die „hochherrschaftliche Kontrolle“ über den Innenhof zu übernehmen.
Gestern hat die WIP mit dem Bau der Zaunmauer begonnen. Die Arbeiter wollten sie genau auf die Grenze setzen. Dazu hätte das Fundament aber acht Zentimeter in Hills Grundstück reinragen müssen. Hill ruft seine Nachbarn, ruft die Presse, ruft die Polizei. Aber nicht mal die kann viel ändern. Jetzt wird die Grenzbefestigungsanlage acht Zentimeter weiter hinten gebaut. Hill sieht das als kleinen Erfolg. Und vor 15 Jahren hätte auch niemand gedacht, dass die Mauer mal fällt. Aber nicht zu früh freuen: Damals gewann die wirtschaftlich stärkere Seite.