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„Ach, der Väter!“

■ AIDS als Generationskonflikt: „Wir lagen vor Madagaskar“, eine Uraufführung im Bremer „Concordia“

Gern hätten wir mal etwas Frisches bekommen, etwas Anregendes, Aufregendes – etwas anderes als die Plattheiten, die uns zum Thema AIDS immer wieder vorgebraten werden. AIDS als mächtige Metapher für Gesellschaft, Tod u.v.a.m.; AIDS als Geißel der Jugend; AIDS als Problemchen, dem man mit Hilfe putziger Kondom-Werbespots schon irgendwie beikommen kann – oft klingt es wie die Bitte, man möge doch auch mal die heitere Seite der Pest betrachten. All diesem Unfug fügt Klaus Chatten, bereits mit einigem Kritikerlob bekränzter Nachwuchsdramatiker, nun leider weitere Plattheiten hinzu. Am Wochenende erlebte „Wir lagen vor Madagaskar“ seine Uraufführung im Bremer „Concordia“; darin wird AIDS einmal mehr als Schuldfrage verhandelt.

Und Schuld haben natürlich immer die Alten. So wird die AIDS-Diskussion zum Generationskonflikt aufgeweitet, wird aufgeweicht und schließlich aufgelöst. Wenn am Ende alles in Tränen des Selbstmitleids zerrinnt, dann ist das nur die letzte Konsequenz dieser beschränkten Geschichte.

Und die geht so: Ivo, dieser hübsche Knabe, hat erst sich und dann seinen besten Freund HIV-infiziert. Aber keiner will es wissen. Vor allem die Eltern nicht, die hier als Sauerländer Spießerpaar gegeben werden. Mutti saugt Staub, wenn's mal laut wird in der heiligen Familie; Vater jedoch hat sowieso längst alles verdorben. Ja, aber hat er nicht dem Söhnchen „alles vorne und hinten reingeschoben?“ Dem Herrn „Luftikus“, der nun „lebensunfähig“ im Berliner Großstadtsumpf herumhängt? – Eben. Genau diese Art der fürsorglichen Belagerung wirft Chatten, selbst Jahrgang '63 und somit im besten Ivo-Alter, der Vätergeneration nun mal wieder vor.

Das ist freilich die alte Leier, das ist das ewige Gejammer der Jungen, das –zig Dramatikergenerationen vor Chatten schon angestimmt haben – und zwar weitaus origineller und tiefschürfender. „Ich bin stocksauer“, läßt Chatten im Programmheft vernehmen, „ich amüsiere mich prächtig und suche einen Matrosen.“ Vielleicht sind dies nicht die idealen Bedingungen, um über AIDS zu reden. Denn Chatten bringt tatsächlich nur Stocksaures auf die Bühne – und triefend Sentimentales. Die Alten werden als dumpfe Klischeefiguren hingepinselt; einzig der Opa, ist er doch auch dem Tode nah, bringt ein bißchen wärmendes Verständnis für den Verstoßenen auf. Sind endlich die Alten von der Bühne verschwunden, darf Ivo in des Dramas zweitem Teil dann sein ganzes Selbstmitleid entrollen. Weh mir! Ach, der Väter! Ach, der Umwelt! Auch die Medien sind irgendwie mitschuldig: Sehet, wie der Arme sich vor dem Fernsehapparat versteckt, das mit teuflischen Sexbotschaften auf ihn einträufelt!

So bastelt Chatten, Klischee um abgenudeltes Klischee, seinen Holzschnitt einer bösen Welt zusammen. Erstaunlich, wie die Bremer Inszenierung trotz alledem noch was Unterhaltsames draus macht. Die grellen Töne der Chattencharaktere hat Regisseur Matthias Brenner recht plastisch-drastisch ins Bild übersetzt. Das Sauerländer Familienidyll erscheint hier als eine Mischung aus Kunstrasengrün, Polohemdengelb und Aschgrau – die Bühne ist halb Freizeitpark, halb Hunnengrab. Darinnen tobt der Vater (Matthias Kleinert) aufs Köstlichste; Ivo (Sven Lehmann) bleibt typbedingt ein bißchen blaß gegen seinen Alten. Ein wenig Glanz verleiht der Inszenierung vor allem eine vermeintliche Nebenrolle: Sebastian Dominik gibt den verwirrten, aber topagilen Opa mit einem Nuancenreichtum – mal erwacht der alte Haudegen in ihm, mal bröselt er still vor sich hin –, den man dem Autor bei seiner nächsten Schreibgelegenheit nur anempfehlen kann.

Thomas Wolff

Nächste Aufführungen: 15.3., 18.3. – 20 Uhr

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